„Natur ist langweilig“, meinen heute Manche, die eifrig nach Neuerungen streben, während sie über neue Formen des Lebens spekulieren. Angenommen, man stellte sich die Biologie als eine Art Technologie, als Plattform für Innovation vor. Welche neuen Biosysteme könnte man da planmäßig gestalten? Ließe sich die Natur eventuell gar korrigieren und „umprogrammieren“? Vor einem Jahrhundert führten solche Gedanken zur Zucht neuer Obstsorten, Blumen und Feldfrüchte. Auf der heutigen Wunschliste stehen unter anderem Biokraftstoffe und neue Medikamente. Die biologische Avantgarde war nie weit entfernt von anderen „Avant-Garden“. Die Transformation des Biologischen steht seit Langem in engem Bezug zu den Transformationen der Technosphäre, jener weit greifenden technischen Umwelt, die, ganz ähnlich der Biosphäre, mittlerweile die globalen Stoffwechselprozesse entscheidend mitprägt.

Um 1948 geriet das prometheische Ansinnen, die Vererbung in den Dienst des Menschen zu stellen, direkt in den Sog der Weltpolitik. In eben diesem Jahr begann die Sowjetunion mit der Umwandlung riesiger landwirtschaftlicher Gebiete gemäß dem „Großen Stalin-Plan zur Umgestaltung der Natur“. Die Pseudowissenschaft des Lyssenkoismus, im Sommer 1948 zur staatlichen Doktrin erhoben, trachtete zugleich nach einer radikalen Reform der Vererbungslehre. Die Genetik als bürgerliche Fantasterei diffamierend behauptete sie, dass Vererbung durch Kontrolle der Umwelteinflüsse menschlich geformt werden könne. Dadurch wurde die wissenschaftliche Genetik in der Sowjetunion für die Dauer einer ganzen Generation gelähmt und maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die grassierenden Hungersnöte verschärften. Wenige Jahre später griff der Biochemiker Alexander Oparin einige philosophische Grundlagen des Lyssenkoismus auf und formulierte darauf aufbauend seine wegbereitenden Theorien zur Entstehung des Lebens. Spätestens seit diesem Zeitpunkt waren Probleme der landwirtschaftlichen Produktion und die großen Fragen nach der Entstehung des Lebens Teil politischer und ideologischer Auseinandersetzungen geworden.

Selbst der Begriff der Mutation wurde politisch aufgeladen. Demnach geschahen Mutationen in der Sowjetunion zielgerichtet und zum Nutzen der Landwirtschaft. Die Phänotypen der landwirtschaftlichen Produkte sollten sich sichtbar verändern. Für den nicht-lyssenkoistischen Westen fanden Mutationen dagegen zufällig statt und waren als nachteilig angesehen. Zufällige Mutation war der Hauptfaktor einer neuen Risikoanalyse, die anhand laborgezüchteter Organismen stattfand. Die sowjetische Tageszeitung Prawda sprach von „Fliegen-Liebhabern und Menschenhassern“, wenn es um die Arbeit der klassischen Genetiker*innen an Fruchtfliegen ging, die ohne Bezug zu Produktionsfortschritten in der Landwirtschaft sein sollte. Aber die Genforscher*innen erkannten sehr wohl die Bedeutung dieser Arbeit für die Lebensrealität – etwa wenn man Fruchtfliegen im Labor radioaktiver Strahlung aussetzte, schwerwiegende Mutationen feststellte und sich fragen musste, wie diese Strahlung auf Menschen wirkt. In Folge der Entwicklung von Atombomben im Zweiten Weltkrieg und der Aussicht auf eine radioaktive Zukunft forderten angesehene Genetiker*innen, den Schutz vor Mutationen zu einem wesentlichen Teil der öffentlichen Gesundheitsvorsorge zu machen. Das Erbgut vor Schaden zu bewahren, war plötzlich nicht mehr nur ein Problem der genetischen Wissenschaft. Es stand im Zusammenhang mit der Grundfrage nach dem Stellenwert des Menschen in der wuchernden Technosphäre.

Die Sorge um die Bewohnbarkeit der Erde fand ihre Entsprechung in Wissenschaften, die danach strebten, die Bewohnbarkeit anderer Welten zu ergründen. 1948 erreichten erstmals Raketen die Grenze zum Weltall und lieferten erste, faszinierende Bilder von der Erdkrümmung. Aus neuen Perspektiven auf die Erde ergaben sich neue Vorschläge zur Umgestaltung des Planeten und sogar zur Besiedlung anderer Welten mit terrestrischen Organismen. Eine neue Wissenschaft der „Exobiologie“, der Untersuchung des Lebens in anderen Welten, schien greifbar nahe.

Während all diese Versuche zu verstehen, wie „das Leben sein könnte“ – sein Ursprung, seine Synthetisierung im Labor und seine möglichen Formen oder Aufenthaltsorte – um 1948 neu kombiniert wurden, erfuhr die Idee der „Bewohnbarkeit“ ihre eigene Veränderung. Jede einzelne Fantasie deutet ihre eigene Konsequenz für den Planeten an – und für die, die ihn in Zukunft bewohnen werden. Aber jedes größere Verständnis der technosphärischen Ausdehnung der Biologie, ob experimentell oder astronomisch, muss sich mit der komplexen und oft tragischen Geschichte der Menschheit auseinandersetzen, ein Zuhause zu behalten, zu finden oder sich zu schaffen.