Ihre kommende Arbeit läuft im Rahmen von 100 Jahre Gegenwart: Wollen Sie mit dem Projekt andeuten, dass der Blick auf die arabophonen Länder des östlichen Mittelmeerraums die komplexen Transformationen des 20. Jahrhunderts erhellen könnte?
Stimmt, ich blicke vor allem auf den Libanon, aber ich würde nicht sagen, dass ich mein Land als exemplarischen Fall dafür heranziehe, was heute in der Welt geschieht. Alles in der Region und darüber hinaus ist miteinander verflochten. Und das ist es, was mich interessiert. Ich betrachte es schlicht aus libanesischer Perspektive. Historisch gibt es ja eine offensichtliche Verbindung zwischen dem Osmanischen Reich und dem zeitgenössischen Libanon. Der Libanon war Hunderte von Jahren Teil dieses Reichs. Die Region und später das Land wurden von Invasionen geprägt, Armeen marschierten ein und zogen ab, und diverse Länder kontrollierten das Gebiet. In gewissem Sinne sucht der Libanon deshalb noch immer nach seiner Identität. Und das sehe ich gar nicht als ein Problem: Jedes Land und jede Community kämpft immer mit der Selbstdefinition. Im Libanon können wir uns nur leider nicht auf eine generelle Richtung einigen, auf die wir uns gemeinsam zubewegen – weder als politische Bürger*innen noch durch religiöse Identifizierung. Das gilt insbesondere in diesen Zeiten, wo der Libanon eine politische Partei hat, die in Regierung und Gesellschaft vertreten ist und gleichzeitig in einen Krieg außerhalb des Landes involviert ist. Das bringt uns in eine neue Situation. Und ich denke, das ist eine Verschiebung in der Geschichte des Libanon, die wir nicht ignorieren können.
Ihre Arbeit trägt den Titel How Close Could We Get to the Light and Survive? Wo sehen Sie denn überhaupt ein Licht?
Ich habe eine besondere Beziehung zu Titeln. Oft haben sie gar nichts mit dem genauen Inhalt oder dem Kontext zu tun. In diesem Fall beziehe ich mich auf die Frage, was Wahrheit ist und wie man sie erlangen kann. Ich interessiere mich dafür, wie nah man an diese Form des Lichts kommen kann, ohne sich zu verbrennen. Wobei wir sowieso nie absehen können, wie nah wir einer bestimmten Wahrheit kommen. Wahrheit ist relativ. Sie ist uns immer voraus, also kann niemand sie wirklich erreichen. Und absolute Wahrheit gibt es sowieso nicht, es gibt nur Wahrheiten. Sie können einander widersprechen oder ergänzen, und erst das kann uns schließlich zu einer Art Verständnis führen. Hoffentlich ist das in meiner Arbeit und durch die Perspektiven meiner libanesischen Freund*innen der Fall. Hoffentlich werfen wir ein wenig Licht auf die Lage.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit mit der künstlerischen Form der Lecture Performance. Diese Form war in den 1990er-Jahren in Beirut äußerst populär, als Künstler*innen nach dem Krieg wieder begannen, sich auszutauschen. Was fasziniert Sie heute an diesem Ansatz?
Im Beirut der 1990er Jahre war alles plötzlich wieder zugänglich. Der Osten der Stadt öffnete sich dem Westen und umgekehrt. Und der ganze Libanon öffnete sich nach 15 Jahren Bürgerkrieg der Welt. Auch wir Künstler*innen versuchten, uns neu zu orientieren. Die nichtakademischen Vorträge waren eine offene Form, von der aus man Dialoge mit anderen Disziplinen, anderen Gedanken und Praktiken bilden konnte – mit den bildenden Künsten, Performance, Video, Literatur, auch Psychologie und Philosophie. Während des Krieges war das alles nicht möglich, die Grenzen waren undurchlässig. Aber in den 1990er Jahren verschwommen sie. Ich nutze diese Form der Arbeit heute noch, weil sie für Dialog und Freiheit steht. Außerdem sind Lecture Performances allgemein ein Umgang mit oftmals fehlender Finanzierung in den Künsten. Besonders im Libanon. Denn unsere Regierung wird auch 15 Jahre nach Kriegsende nicht müde zu betonen, dass es kein Geld für die Künste gibt – weil das Land wichtigere Sorgen hat.
Sie produzieren dieses spezifische Projekt mit dem HKW, einer großen Institution. Wie frei waren Sie hinsichtlich Ihrer kuratorischen Vision?
Zunächst mal betrachte ich mich wirklich nicht als Kurator, und ich habe keinerlei Absicht, in Zukunft als Kurator zu arbeiten. Ich habe einfach Freundinnen und Freunde eingeladen, die ich kenne und denen ich vertraue; die meisten von ihnen sind Künstler*innen, mit denen ich schon lange zusammenarbeite. Wir agieren alle nach einer ähnlichen Logik und sie arbeiten ähnlich wie ich, kommen mit einem kleinen Budget aus und legen Wert auf Eigenständigkeit. Das Budget, mit dem ich jetzt arbeite, gibt mir die Gelegenheit, sie alle in dieser Konstellation zusammenzubringen. Und das ist mir sehr wichtig. Eine solche künstlerische Zusammenarbeit außerhalb des Libanon zu haben, ist neu für uns. Ich bin sehr gespannt, wie unsere Arbeiten sich vor deutschem Publikum miteinander verknüpfen, wie der Dialog sich entwickelt. Allerdings wird keiner der Leute, die ich eingeladen habe, die Kunstszene im Libanon repräsentieren, es wird kein repräsentatives Projekt. Vielmehr stehen diese Freund*innen für ihre sehr persönlichen und individuellen Perspektiven.
Gibt es künstlerische Gemeinsamkeiten? Sie betonen, dass die meisten von Ihnen schon eine ganze Zeit zusammenarbeiten.
Das ist richtig. Sechs von uns haben eine sehr enge Beziehung. Wir sind alle in den späten 1960er Jahren geboren, wir haben uns viel in Beirut gesehen und häufig zusammengearbeitet – Walid Raad, Lina Majdalanie, Khalil Joreige, Joana Hadjithomas, Akram Zaatari und ich. Zwei weitere, Mounira Al Solh und Lawrence Abu Hamdan, gehören einer jüngeren Generation an, und Hoda Barakat und Ahmad Beydoun sind etwas älter. Das ist eine interessante Mischung, hoffe ich, da wir am Ende alle irgendwie miteinander verbunden sind. Zu Ahmad Beydoun beispielsweise hatte ich eine enge Verbindung, bevor wir uns überhaupt kennen lernten: Durch seine Texte hat er mich enorm beeinflusst. Auch Arbeiten wie die von Mounira Al Solh sagen mir viel: Im HKW wird sie über ihre syrischen Wurzeln und ihre Familie in Bezug auf ihr Leben im Libanon reflektieren. Auch Lawrence Abu Hamdan ist mir wichtig, der sich für die politischen Auswirkungen des Zuhörens interessiert; und natürlich Hoda Barakats Romane und ihre Art, wie sie mit sehr sensiblen gesellschaftspolitischen Themen umgeht. Gemeinsam werden wir Libanons regionale Beziehung zu seiner Vergangenheit und Gegenwart verhandeln. Und hoffentlich erschaffen wir eine Art Panorama mit komplexen Details aus dem Land und darüber hinaus.