Herr Meinecke, wie setzt man sich als Musiker mit dem Krieg auseinander?
Ästhetisch hält der Krieg nur schwierige Vorformulierungen bereit. Man will ja nicht mit Feuer und Metall hantieren, sondern diskursiv. Was gibt es also noch? Es gibt das Gegenteil von Krieg, den Frieden, und dazu als Genre den Protestsong, der aber unglaublich vorformuliert ist. Was hat der Krieg darüber hinaus an unehelichen Kindern gezeugt? Vor allem den Lärm. Darauf sind besonders die italienischen Futuristen eingegangen: Sie haben den Lärm der Großstädte und auch der Schlachtfelder ästhetisch verarbeitet. Der Lärm als Abfallprodukt des Krieges durfte in die schönen Künste überwechseln.
Wir interessieren uns besonders für Luigi Russolo, der auch einen einschlägigen Apparat gebaut hat. Er nannte ihn Intonarumori, Lärmtöner. Und so haben wir uns dem genähert, als eine Band, die sich eher als dekonstruktivistisch versteht. Unser Konzert im HKW steht unter dem Titel Ein Haufen Scheiß und ein zertrümmertes Klavier, das ist eine Zeile aus dem Lied Die Liebe einer Blondine, mit dem wir auf den Titel eines Films von Miloš Forman anspielen. Wir zitieren uns jetzt selber, indem wir den Titel in die Tat umsetzen, das bürgerliche Zentralinstrument zerhacken. Aber es ist ein uneigentliches Tun, eine Referenz.
Die Futuristen stehen für die Ambivalenz der Moderne, für einen Umschlag ins Destruktive. Geht es darum, dies nicht zu verdrängen?
Gerade die Gruppe der italienischen Futuristen hatte dieses unheilbringende Element, und die Kriegsbegeisterung einte viele von ihnen. Diese Ambivalenz der Kunst können wir nicht ausklammern.
Zwischen 1914 und 2014 wurden zahlreiche Parallelen gezogen. Läuft die Geschichte tatsächlich Gefahr, sich zu wiederholen?
Wir leben in einer Zeit der Mobilmachung und Propaganda. Selbst Leute, die relativ aufgeklärt sind, verfallen in entsprechende Rhetoriken. Ich beobachte das eigentlich schon seit den 1990er Jahren, als es hieß: Dieses Jugoslawien muss aufgelöst werden, wir brauchen wieder einen hegemonialen Einfluss auf dem Balkan. Deutschland hat sich wieder mächtig und groß gemacht, das finde ich sehr alarmierend. Als Pazifist steht man heute einsam da, weil es ständig den Böseren gibt, vor dem man den nicht ganz so Bösen verteidigen muss. Solche Legitimationen haben bei mir immer sofort den inneren Peter Handke aufgeweckt. Seit 1914/2014 hat sich so eine Vertrautheit mit der angeblichen Tatsache eingeschlichen, dass wir nun einmal im Krieg sind. Das widerstrebt mir sehr.
Der Titel 100 Jahre Gegenwart hat auch eine bedrückende Implikation. Die Vergangenheit könnte übermächtig werden. Wie entkommt man ihr, wie findet man etwas Neues?
Wir sind immer spielerisch damit umgegangen. 1981 hatten wir einen Song, der heißt Otto Hahn in Stahlgewittern. Es geht um die Gewinnung der Atomenergie, aber auch die Bewunderung für Ernst Jünger, die wir in ihrer ganzen Ambivalenz herausgefiltert haben. Friedensbewegungslieder fanden wir ästhetisch platt und sehr selbstgenügsam, uns war immer daran gelegen, in unseren verschiedenen Weisen des Zitierens das Schöne und das Hässliche gleichermaßen zuzulassen. So würde ich sagen, dass die Vergangenheit zwar allgegenwärtig, aber nicht übermächtig ist. Wir können im ästhetischen Entfalten forschend eine neue Perspektive gewinnen.