Im August 2013 verklagten Robin Thicke, Pharrell Williams und Clifford Harris Jr., besser bekannt als T.I., präventiv die Erben von Marvin Gaye. Sie wollten damit eine offizielle Bestätigung erhalten, dass der Song Blurred Lines kein Plagiat von Gayes Got to Give It Up ist. Ein interessanter Fall, der sich an der Schnittstelle zweier divergierender Positionen bewegte: auf der einen Seite eine eng ausgelegte Copyright-Interpretation, nach welcher der Song über jeden Verdacht erhaben sei; auf der anderen eine von der Geschichte des weißen Diebstahls Schwarzer Musik; Thicke sollte seine gerechte Strafe erhalten. Das Urteil selbst stellte letztlich eine Copyright-Verletzung fest. Meiner Ansicht nach lassen sich aus diesem Fall zwei Lehren ziehen. Erstens: Wonach die Menschen (auch Geschworene) entscheiden, ob es sich um eine legitime – also transformative – Nutzung handelt, ist nicht das, was laut Gesetz eine Rolle spielen sollte. Zweitens ist auch das Wertesystem, an dem sich das Copyright orientiert, nicht das, was laut Gesetz eine Rolle spielen sollte.
Wenn wir mit der Frage beginnen, nach welchen Kriterien die Menschen eine Werknutzung beurteilen, so gibt es zwischen den musikalischen Elementen, die laut US-amerikanischem Gesetz dem Copyright unterliegen, und den Faktoren, anhand derer die Menschen Ähnlichkeit oder Originalität beurteilen, nur wenig Übereinstimmung. Diese Diskrepanz zeigte sich auch in der Berichterstattung über den Fall Blurred Lines. Kal Raustiala und Christopher Jon Sprigman argumentieren im Slate Magazin, dass „das Problem – und der Grund, weshalb das Urteil zu Blurred Lines solch eine Katastrophe ist – darin liegt, dass die Jury anscheinend von Dingen beeinflusst wurde, die eigentlich keine Rolle spielen sollten“. Was den rechtlichen Aspekt angeht, so bemerkt Tim Wu im New Yorker: „Es geht nicht um die Frage, ob Pharrell Anleihen bei Gaye gemacht hat“, denn das sei eindeutig der Fall, „sondern darum, ob das Geliehene überhaupt Gaye gehörte“, was Wu zufolge nicht der Fall war. Chris Richards räumt in seinem Artikel in der Washington Post ein: „Ja, Blurred Lines ähnelt in Rhythmus und Klangbild Got To Give It Up“, aber, so seine Frage, „ist das Diebstahl? Hören Sie hin. Beide Songs haben eine Art Kuhglocken-Percussion, die in einem ähnlichen Tempo dahinscheppert, aber die Muster sind anders. Beide Songs haben satte, aufreizende Basslines, doch mit jeweils unterschiedlichen Noten und Rhythmen.“ In einem stimmen diese Kommentatoren also überein: Es gibt zwar ähnliche Elemente in den Songs, doch gehören diese Elemente nicht zu den Dingen, die geschützt sind. Dies gilt umso mehr, als bei der Entstehung von Gayes Stück Tonaufnahmen nicht unter das US-amerikanische Copyright fielen, sondern eigentlich nur die schriftlichen Noten der Komposition und keine der eher immateriellen, nicht schriftlich notierten Aspekte „gefühlter“ Übereinstimmung, wie es hier der Fall ist.
Raustiala und Sprigman schließen daraus, dass das, „was das Team von Blurred Lines kopiert hat, entweder nicht originär oder nicht relevant ist“, aber das möchte ich bestreiten. Dem Gesetz nach haben sie zwar Recht: Rhythmus, Hintergrundgeräusche, Falsett, funky Bass, Kuhglocke oder auch die anderen Elemente sind nicht relevant, sei es, weil sie nicht auf Gaye zurückgehen oder weil sie nicht urheberrechtsfähig sind oder beides. Diese Elemente haben jedoch eine eindeutige Relevanz für Personen, die diese Songs hören, und dazu gehören auch Geschworene. Dadurch haben solche Aspekte in Copyright-Verfahren ein Gewicht, ob bewusst oder nicht. Was das Gesetz sagt, entspricht nicht dem, wie wir Musik wahrnehmen, und auch nicht dem, wie wir Ähnlichkeiten heraushören. So würde ich argumentieren, dass zwar keines der einzelnen Elemente die Originalität des Songs belegt, aber ihre Kombination genau das ist, was Got to Give it Up ausmacht – und eben auch Blurred Lines. Diesem Aspekt trägt das Gesetz derzeit nicht Rechnung, aber er beruht auf Erfahrung und muss ernst genommen werden, und sei es allein wegen seines Einflusses auf gerichtliche Entscheidungen.
Was meine zweite Überlegung zur Funktionsweise des Urheberrechts anbetrifft, so spielt es eine große Rolle, wer wem was angetan hat. Richards meint dazu: „Eine ganze Generation amerikanischer Bluesmusiker starb, noch bevor sie die Unmengen von Sprit riechen konnte, den die Privathelikopter der Rock-’n’-Roller verbrauchten, die sich mit ihrem Sound davongemacht hatten. In anderen Fällen gab es nur außergerichtliche Einigungen. Und das ist ein Grund, warum nach der Verkündung des Urteils vom Dienstag in den sozialen Medien ein solcher Jubel ausgebrochen ist. Diesmal sind die jungen Mistkerle nicht davongekommen.“ Die Geschichte Weißer, die sich ungestraft bei Schwarzer Musik bedienen, reicht weit zurück, von Elvis zu Moby, und sie ist der eigentliche Grund, warum sich dieses Urteil für die meisten Menschen „richtig“ anfühlt.
Dieser Fall offenbart jedoch noch einen weiteren Aspekt, bei dem das Gesetz keine Rolle spielt. Beim Copyright der Vereinigten Staaten, wie es in der Verfassung verankert ist, geht es darum, „den Fortschritt der Wissenschaft und nutzbringenden Künste dadurch zu fördern, dass den Autoren und Erfindern für beschränkte Zeit das ausschließliche Recht an ihren Schriftwerken und Entdeckungen gesichert wird“. Dahinter steht der Gedanke, dass der Staat, der ein Interesse an der Förderung von Wissenschaft und Kunst hat, ein kurzfristiges Monopol auf ansonsten unkontrollierbare Ideen gewährt, um einen Anreiz für kreatives Schaffen zu bieten. Dem zufolge, so argumentieren Raustiala und Sprigman, könne grundlegende Fairness zwar gebieten, dass Gayes Erb*innen für die Inspiration, die er für Blurred Lines lieferte, entschädigt werden, doch:
„Grundlegende Fairness ist nicht das Ziel unseres Copyright-Systems. Der Grund, warum wir ein Copyright haben – der Grund, warum wir Lieder, Bücher und andere kreative Werke über die Lebenszeit des Autors und 70 Jahre darüber hinaus schützen – besteht darin, Künstler*innen einen angemessenen Anreiz zu bieten, neue kreative Werke zu schaffen.“
Dieses Urteil – darin sind sich Kommentator*innen aus Recht und Musik einig – liefert Menschen keinen Anreiz, mehr Musik zu machen. Im Gegenteil, heißt es, sie bekommen Angst, das, was sie früher als harmlosen Einfluss betrachtet haben, könnte jetzt ein einklagbarer Verstoß sein. Raustiala und Sprigman befürchten, das Urteil „könnte letztendlich dazu führen, dass eine wichtige Quelle der Kreativität in der Musik zerstört wird – das Verfassen großartiger neuer Songs als Hommage an ältere Klassiker“, was nicht nur den Künstler*innen, sondern auch der Öffentlichkeit schaden würde, für die das Copyright eigentlich gedacht ist.
Letztendlich zeigt der Blurred Lines-Fall in zwei wesentlichen Punkten, wie das Gesetz tendenziell funktioniert und meiner Meinung nach auch gezielt funktionieren sollte. Zum einen haben unsere sozialen Vorstellungen von Kreativität, Originalität und Wertigkeit Einfluss auf Entscheidungen darüber, ob Werke einen Verstoß oder eine transformative Nutzung darstellen, und das ist gut so. Unabhängig davon, ob wir der Ansicht sind, dass das Gesetz dem Zweck dient, die Kreativität zu fördern (sein ursprünglicher Zweck) oder dafür zu sorgen, dass die Urheber*innen bekommen, was ihnen zusteht (sein aktueller Zweck), sollte es das schützen, was wir gesellschaftlich als wertvoll, kreativ und als kulturelle Bereicherung betrachten, nicht einfach willkürlich alles, was von jemandem beansprucht wird, der sich den nötigen Rechtsbeistand leisten kann, um seine Ansprüche durchzusetzen. Zum anderen sollten wir, wenn es um die Wiederverwertung geht und darum, zu beurteilen, ob diese legitim ist, wie es die Geschworenen im Fall Blurred Lines offensichtlich getan haben, die Machtverhältnisse berücksichtigen – wer tut wem was an? Die rassistische Diskriminierung, die den Boden dafür bereitete, dass weiße Rockmusiker*innen sich einfach so bei Schwarzen Blues-Musiker*innen bedienen konnten, sorgte für das Verlangen nach einer Wiedergutmachung im Urteil zu Blurred Lines. Ich denke, dass diese Punkte berücksichtigt werden sollten, um zu einem besseren Ergebnis zu kommen. Natürlich können diese beiden Prinzipien in Konflikt geraten – dass Sampling im als weiß geltenden Mashup-Genre weitaus eher als kreativ und angemessen gilt als im Schwarz konnotierten Hip-Hop, macht das Ganze nicht leichter. Ihre Umsetzung wird sich als schwieriger Balanceakt erweisen, aber als normatives Statement, so behaupte ich, würde uns dies bei der Entscheidung über die rechtmäßige oder unrechtmäßige Nutzung bestehender kreativer Werke voranbringen.