„Eigentlich hatte ich mich immer für eine technisch versierte Mutter gehalten“, sagt Mizuko Ito, während ihre Finger über einem Touchscreen schweben. Doch auch sie kommt langsam nicht mehr mit ihrer Tochter mit. Zumindest denkt die New Yorker Kulturanthropologin nicht automatisch an Internet-Tutorials, wenn der Nachwuchs von Gitarrenunterricht spricht. Auch an die virtuellen Freundschaften ihrer Tochter muss sie sich noch gewöhnen. Im Zuschauerraum des Hauses der Kulturen der Welt sitzen Lehrer*innen, Künstler*innen und Erziehungswissenschaftler*innen, viele von ihnen lächeln wissend. Und genau darin sieht Ito ein Problem. Denn immer deutlicher sieht sie die Grenzen zwischen ihrer Erlebniswelt und der ihrer Tochter; immer mühsamer lässt sich ihre Gegenwart mit der Zukunft der nächsten Generation zusammen denken.

Unter anderem diese Grenzen verhandelten Bildungsexpert*innen auf der Konferenz Schools of Tomorrow im HKW. Wie kann man heute Kinder auf eine Welt vorbereiten, die sich wöchentlich zu ändern scheint? Wie können Schulen selbst an der Gestaltung einer ungewissen Zukunft teilhaben? Und warum sollten Schüler*innen mehr denn je zu eigenständigem Handeln ermutigt werden? Diese und andere Fragen standen im Fokus des Programms und der Diskussionen.

Mizuko Ito bei der Auftaktkonferenz von „Schools of Tomorrow“ | Foto: David Gauffin

Ich lausche Mizuko Ito, die auf dem Podium im Vortragssaal über die Vernetztheit der Welt und gegen Techno-Skepsis predigt, und mit jedem Satz sinke ich ein wenig tiefer in meinen Sitz. Ich bin eine von denen, die sie auf dem Kieker hat. Eine, die ihren Computer wie eine Schreibmaschine nutzt und die nicht genau weiß, ob es in der iCloud regnet oder nicht. Immerhin gehöre ich seit ein paar Jahren zur Social Media-Community. Das allerdings auch nur, weil ich einmal junge Facebook-Aktivist*innen porträtiert habe. Vermutlich muss man ja auch gar keine Computerexpertin sein, um seine Kinder in die Zukunft zu begleiten. Das meiste ist für sie längst selbstverständlich. Telefone, die ihnen den Weg von A nach B erklären, und Freund*innen in Japan, mit denen sie nur über Computerbildschirme sprechen, gehören zu ihrem Alltag wie für mich früher Videorekorder und Mikrowelle. Doch führt das automatisch zum kompetenten Umgang mit dem „Neuen“? Und vor allem: Erhalten Kinder mit herkömmlichen Schulformaten überhaupt die Chance, ihre Umgebung in allen Möglichkeiten zu erforschen und sich ihrer zu ermächtigen?

Wenn man Katie Salen Tekinbaş fragt, ist da definitiv Luft nach oben. Die New Yorkerin ist Game Designerin, Gründerin des Institute for Play und Professorin für Computer und Digitale Medien. Sie sieht nicht ein, warum die Spielleidenschaft von Kindern an Schulen unterdrückt werden sollte. Ganz im Gegenteil. So hat Tekinbaş vor Jahren das Konzept für eine Schule entwickelt, die genau darauf baut, dass man die Welt am besten spielend erkundet. Fächer gibt es an der Schule Quest to Learn nicht, die Unterrichtseinheiten heißen Domains. Die Lehrer*innen arbeiten eng mit Game Designer*innen zusammen. Und es kommt schon mal vor, dass die Schüler*innen sich gemeinsam durch digitale Tropenlandschaften kämpfen oder kleinen virtuellen Figuren dabei helfen, ein Haus zu bauen. Laut Tekinbaş geht es nicht um das sture Beharren auf einer immer präsenteren Digitalität, sondern schlicht darum, die Tools zu nutzen, die den Alltag der Kinder ohnehin bestimmen. „Früher galt es als regelrecht unheimlich, Freund*innen zuerst über das Netz und später in der realen Welt kennen zu lernen“, hatte Mizuko Ito gesagt. Und dass es für ihre Tochter heute selbstverständlich sei, die virtuelle Welt zu erforschen, ohne die reale dadurch zu vernachlässigen.

Ein Stockwerk tiefer nimmt Daniel Seitz von Jugend hackt die verbreitete Angst vor der Digitalität in den Blick – während die Kinder längst im postdigitalen Zeitalter angekommen seien. Noch einen Raum weiter argumentiert das Team der Hagenbeck-Schule aus Berlin-Weißensee, dass das Ausmisten von Tierställen während des Schulalltags mindestens so produktiv sei wie das Programmieren. Und spätestens da wird klar, dass Silvia Fehrmann, die Kuratorin von Schools of Tomorrow, nicht die eine heilsbringende Alternative für die Zukunft der Schulen im Sinn hat, sondern das Programm vielfältige Perspektiven für eine Bildung der Zukunft aufmacht.

An diesem Projekttag jedenfalls wird vor allem diskutiert, nicht einig genickt. Während der Leiter der Zooschule den emotionalen Gewinn und die Verantwortung im Umgang mit Tieren propagiert, hält die Lehrerin Ange Ansour ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, schon den Jüngsten die Methodik zu wissenschaftlicher Forschung nahezubringen. Und die Erziehungswissenschaftlerin Catherine Burke spricht darüber, wie wichtig die richtigen Türgriffe, Klobrillen und gesamte Schularchitekturen sind, um Kindern produktives Lernen zu ermöglichen. Fast allen scheint es darum zu gehen, Kindern mehr Spiel, Raum und Teilhabe zu ermöglichen – im und vor allem außerhalb des Klassenraums. Eine Selbstverständlichkeit, die an vielen Schulen noch nicht aktiv praktiziert wird, so der Konsens, denn das erfordert auf institutioneller Seite schließlich viel Flexibilität.

Am Vormittag sitze ich in einer Workshop-Gruppe, die sich mit Trends und Tücken des Urbanen Lernens beschäftigt. Das Gespräch leitet Håkan Forsell, Historiker an der Uni Stockholm. Professor*innen vom Londoner King’s College, britische Architektinnen mit Schulschwerpunkt, eine Bildungsbeauftragte vom Victoria and Albert Museum und Berliner Künstler*innen diskutieren angeregt mit. Darüber, wie der urbane Raum das Lernen von Kindern beeinflussen könnte, wenn man sie häufiger in die Stadt entließe. Wie im Gegensatz der Umgang mit Natur im Schulumfeld erprobt werden müsste, um der urbanen Norm etwas entgegenzusetzen. Und darüber, wie schwer all dies in die Praxis umzusetzen sei.

Workshop bei der Auftaktkonferenz von „Schools of Tomorrow“ | Foto: David Gauffin

Interessiert hat der Kulturanthropologe Arjun Appadurai den Gedanken zum Thema Schule drei Tage lang gelauscht. Am Abschlussabend steht er nun selbst auf dem Podium. Nüchtern spricht er über die Lernbedingungen in Indien, über Analphabet*innen, Schulabbrüche, fehlenden Zugang zu Bildung – dann zieht er sein Fazit: „Mit unserem Glauben an das konventionelle Schulsystem kommen wir im globalen Kontext nicht weit“, sagt er. „Es erreicht schlicht zu wenig Menschen.“ Appadurai glaubt stattdessen an das Vermitteln simpler Methoden: Interview-Techniken, Umgang mit Foto- und Videokamera, Strukturen zur Archivierung eigener Recherchen. An ein Handwerkzeug für Menschen unabhängig von klassischen Bildungssystemen, die ihre Umwelt trotz allem mitgestalten wollen.

Seine NGO Pukar vermittelt diese Techniken in einem Vorort von Mumbai. Und ist damit gar nicht weit entfernt von den progressiven Ansätzen mancher New Yorker Einrichtung. Das Center for Urban Pedagogy beispielsweise arbeitet längst mit diversen Schulen zusammen und vermittelt Jugendlichen aus benachteiligten Bezirken Möglichkeiten für eine Einflussnahme auf die Gesellschaft. Eine Klasse aus der Bronx besuchte kürzlich den Vorstand der Metropolitan Transportation Authority in Manhattan und konfrontierte diesen mit unangenehmen Fragen: „Wieso gibt es in unserem Bezirk eigentlich nur eine U-Bahn-Station und in Manhattan dagegen an jeder Ecke welche?“, wollten die Kinder wissen. „Warum steigen die Fahrpreise ständig, und wer bestimmt das?“ Aus den Antworten bastelten sie einen unterhaltsamen, informativen und vor allem kritischen Film. Man merkt den Schüler*innen an, wie stolz sie auf ihre Arbeit sind. Zu Recht. Denn wenn eine Klasse aus der Bronx bis zum CEO eines riesigen Verkehrsunternehmens vordringt, besteht tatsächlich Hoffnung, dass alternative Bildungsansätze die mündigen Bürger*innen von morgen bereits jetzt prägen.