Wie wurde der soziale Wohnungsbau in der BRD der 1980er Jahre zur „Ware Wohnen“?

Wohnen war und ist in der Gesetzgebung der BRD immer primär als Ware definiert, auch der soziale Wohnungsbau. So sind zum Beispiel die bundesweit bekannten Proteste am Kottbusser Tor in Berlin seit 2012 auch ein Resultat der juristischen Definition des sozialen Wohnungsbaus als zeitlich begrenzte Vereinbarung über Belegungs- und Mietpreisbindungen. Diese fallen nach Fristablauf wieder unter die Regularien des freien Marktes und können profitmaximierend bewirtschaftet werden. Genau das ist die Situation des Zentrums Kreuzberg (ehemals Neues Zentrum Kreuzberg, NKZ) am Kottbusser Tor: Ein ursprünglich mit staatlichen Mitteln finanzierter, ‚sozial’ bewirtschafteter Wohnungsbau fällt aus der Belegungsbindung, während die Immobilienpreise am selben Standort anziehen.

Diese Definition des sozialen Wohnungsbaus als temporärer Ausnahmezustand (heute fünfzehn, früher dreißig Jahre), hatte in der BRD jedoch bis 1989 eine wesentliche Ergänzung, nämlich das Gesetz zur Wohnungsgemeinnützigkeit (WGG). Dieses Gesetz garantierte einen juristischen Puffer zwischen freiem Markt und sozialem Wohnungsbau, in dem es gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen steuerliche Privilegien und damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten einräumte. Diese Privilegierung der Gemeinnützigkeit wurde mit der Steuerreform von 1990 aufgehoben. Seitdem fehlt der bundesrepublikanischen Rechtsprechung ein klares Konzept, qualitativ hochwertigen Wohnraum für normal und gering verdienende Haushalte als Allgemeingut zu definieren.

Was folgte auf den Wegfall des Gesetzes zur Wohnungsgemeinnützigkeit?

Das Verschwinden des WGG leistete der Immobilienspekulation und Monopolbildung auf dem deutschen Wohnungsmarkt ab den 2000er Jahren Vorschub. Es festigte den ideologischen Rahmen, der die Ware gegenüber dem Gebrauchswert des Wohnens symbolisch privilegiert. Dieser ideologische Rahmen wird von drei Grundsätzen zusammengehalten: erstens, dass der Markt die Stadtentwicklung besser steuern könne als jeder Politiker; zweitens, dass Wohnungsmarkt und -nachfrage aus gleichberechtigten Partner*innen bestünden, und, drittens, dass selbst genutztes Wohneigentum die einzig richtige ökonomische Form des Wohnens und damit eine Art ethisch-moralischer Bürgerpflicht sei.

Die Reinform dieser Ideologie lässt sich in den Texten neoklassischer Wirtschaftslehre nachlesen, etwa bereits in Essays von Friedrich Hayek in den 1920er Jahren oder später von Wilhelm Röpke in den 1950er Jahren. Interessant an diesen Texten ist auch die psychologische Stigmatisierung der Mieter*innen von Sozialwohnungen als autoritätsabhängigen und initiativlosen Nutznießer*innen. Fakt ist, dass es sich genau anders herum verhält: Von einer Deregulierung des Wohnungsmarktes profitieren einseitig jene am meisten, die bereits besitzen. Zugleich ist ein hoher Anteil an Mietern eher ein Indikator für den Wohlstand einer Gesellschaft als umgekehrt. Man denke an die Schweiz mit einer der weltweit niedrigsten Eigentümerquoten (2014: 37 Prozent).

Wie kam es zur Diskreditierung der Gemeinnützigkeit in den 1970er Jahren?

Der symbolische Niedergang der Gemeinnützigkeit hängt eng mit dem kulturellen und strukturellen Wandel der 1970er Jahre zusammen, sowie dem Unvermögen der großen gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, auf diesen Umbruch angemessen zu reagieren. Das ökonomische, kulturelle und politische Scheitern der Neuen Heimat ist ein anschauliches Beispiel. Ökonomisch verfolgte die Neue Heimat ein Expansionsmodell, das auf andauernde Produktion und Skalenökonomie ausgerichtet war. Bis Ende der 1960er Jahre konnte dieses Modell gewinnbringend funktionieren, aber ab 1972 schnellten die Bau- und Kreditkosten in die Höhe; der Zinssatz der Bundesbank erreicht 1973 mit neun Prozent ein historisches Hoch.

Als Konsequenz wuchs nicht nur der große Schuldenberg des Unternehmens drastisch an, sondern stiegen auch die Kostenmieten im Neubau, was die Mietpreise gegenüber dem Altbau spürbar in die Höhe trieb. Quasi über Nacht verlor ein knapp dreißig Jahre anhaltendes Produktionsmodell seine Rentabilität. Gleichzeitig erreichte der Wohnungsmarkt 1974 zum ersten Mal seit dem Ersten Weltkrieg einen Gleichstand von Haushalten und Wohnungen. In diesem Moment verlagerte die Wohnungsfrage ihren Schwerpunkt von der Quantität zur Qualität und wurde zu einer Frage nach der Wohnform sich ausdifferenzierender Lebensmodelle. Dies betraf vor allem jene, die nicht ins Modell der Kleinfamilie aus Mutter, Vater und zwei Kindern hineinpassten: alte Menschen, Alleinstehende, Alleinerziehende, Studierende, Homosexuelle. Zugleich verlor der soziale Wohnungsbau aufgrund steigender Mieten und immer stärkerer Subventionierung von Eigenheimen für Kleinfamilien der Mittelschicht an Attraktivität.

Hier wird der kulturelle und politische Grund des Scheiterns deutlich: Im historisch bedeutsamen Moment der qualitativen Ausdifferenzierung und zunehmenden Privilegierung des Eigentums war die Neue Heimat gegenüber ihrem Eigentümer, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, nicht in der Lage zu artikulieren, welchen Mehrwert sie für die Gesellschaft liefert. Ebensowenig gelang es ihr, Gemeinnützigkeit anders als über Argumente der Quantifizierbarkeit wie Komfort und Hygiene zu definieren. Zu Beginn der 1980er Jahre kam der Korruptionsskandal um den Vorstandsvorsitzenden Albert Vietor hinzu. Die städtebauliche Wohnform der fordistischen Großwohnsiedlung und das politische Konzept der Gemeinnützigkeit wurden durch diese Prozesse im Laufe der 1970er und frühen 1980er Jahre zunehmend auf einen gemeinsamen Nenner gebracht und gemeinsam diskreditiert.

Wie könnte eine sinnvolle Gemeinnützigkeit auf dem Feld des Wohnungsmarktes aussehen, heute und perspektivisch?

Eine zeitgenössische Definition von Gemeinnützigkeit könnte sowohl am Wohn- als auch am Finanzierungsmodell ansetzen, ohne beides zwingend aneinander zu binden. 2014 hat die Zahl der Haushalte von Alleinstehenden, Alleinerziehenden und gleichgeschlechtlichen Paaren in Deutschland die Zahl der Haushalte von heterosexuellen Paaren überholt. Gleichzeitig fordert der Arbeitsmarkt gerade von hochqualifizierten Arbeitnehmerinnen eine immer größere Mobilität. In dieser Situation werden unterschiedliche Formen des Gemeinschaftswohnens zu einem realistischen Modell für immer größerer Anteile der Bevölkerung.

Auf einer ökonomischen Ebene könnte das Lob der sozialen Mieter*innen ihre neoklassische Diskreditierung umkehren. Der politische Schutz der Mieter*innen von Sozialwohnungen und ihre Integration in eine territoriale Politik der Stadtentwicklung bremsen die sozialräumliche Polarisierung von Städten und unterstützen die Chancengleichheit einer Gesellschaft. Das ist ein zentraler Mehrwert für alle, der gerade dort wirksam wird, wo die Immobilienpreise steigen. Der Schutz der Sozialmieter*innen sorgt dafür, dass Chancen einer Biografie nicht von Geburt an durch Familie, Wohnsitz und Immobilienbesitz festgelegt sind.

Was die Verbindung von Form und Ökonomie betrifft, so existieren auf beiden Ebenen Vorbilder und Pionierprojekte. Sie werden an deutschen Architekturfakultäten gelehrt, in Fachzeitschriften publiziert und als politisches Projekt vom Mietshäusersyndikat umgesetzt. Was fehlt, ist die Vermittlung zwischen Architekt*innen, dem Marketingkonzept sozialer Wohnungsbaugesellschaften und einer stadtpolitisch unterstützten Definition von Gemeinnützigkeit, die solchen Projekten größeres politisches Gewicht verleiht.

Was bedeuten Privatisierung und Finanzialisierung des Wohnungsmarktes für den Wohnraum selbst?

Die relativ niedrige Eigentümerquote in Deutschland von 52 Prozent mag im internationalen Vergleich wie ein Indikator für Stabilität wirken, weil die bloße Zahl weder auf eine massive Hypothekenkrise noch einen radikalen Privatisierungsschub verweist. Tatsächlich haben die en-bloc-Verkäufe der sozialen Wohnungsbaubestände an transnationale Private-Equity-Unternehmen seit Mitte der 1990er Jahre den Status der privaten Mietwohnung in Deutschland grundlegend verändert. Inzwischen operieren auf dem deutschen Mietwohnungsmarkt monopolartige Konsortien wie Vonovia oder die Deutsche Wohnen AG von ähnlicher Größenordnung wie die Neue Heimat. In politischer Hinsicht sind erstere als Aktiengesellschaften jedoch in erster Linie auf Gewinnmaximierung ausgerichtet. Aufgrund ihrer Größe können solche Unternehmen Regeln und Maßstäbe der städtebaulichen Entwicklung setzen, die sich negativ auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt auswirken.

Ziel eines finanzialisierten Mietwohnungsmarktes ist es, möglichst kostenreduzierte, das heißt: qualitativ minderwertige, Produkte höchstbietend zu vermieten. Die Entkopplung des Wohnproduktes von seinem Gebrauchswert hat für die Mieter*innen genauso fatale Konsequenzen wie für die Stadtpolitik als Ganzes.

Noch ist die Benachteiligung und Stigmatisierung deutscher Stadtbezirke nicht so weit fortgeschritten wie in französischen Vororten und US-amerikanischen Ghettos, wo rassistische und religiöse Konflikte zur wohnungspolitischen Segregation hinzukommen. An diesem Punkt ist in deutschen Städten ein politischer Eingriff notwendig, und genau hier könnte ein anschauliches Konzept von Gemeinnützigkeit wirksam werden.