Eines ist es […] ein Bild direkt als Bild zu erfassen, ein anderes, Ideen zu entwickeln, die das Wesen von Bildern im Allgemeinen betreffen.
Jean-Paul Sartre, L’imagination (1948)
Jeder Versuch, die „Idee der Bildlichkeit“ zu erfassen, ist dazu verdammt, mit dem Problem des rekursiven Denkens zu ringen, ganz einfach weil bereits die Idee einer „Idee“ an den Begriff der Bildlichkeit gebunden ist. Das Wort „Idee“ kommt vom griechischen Verbum idein (sehen) und wird häufig verbunden mit dem Begriff eidolon, dem „sichtbaren Bild“, das für die antike Optik und Wahrnehmungstheorie fundamental ist. Eine vernünftige Möglichkeit, der Versuchung zu begegnen, über Bilder in Begriffen von Bildern zu handeln, bestünde darin, in Diskussionen über Bildlichkeit das Wort „Idee“ durch einen anderen Terminus wie „Gedanke“ oder „Begriff“ zu ersetzen oder von vornherein zu vereinbaren, dass unter dem Begriff „Idee“ etwas ganz anderes als Bildlichkeit oder Bilder zu verstehen ist. Dies ist die Strategie der platonischen Tradition, die das eidos vom eidolon unterscheidet, indem sie ersteres als eine „übersinnliche Wirklichkeit“ von „Formen, Typen oder Gestalten“ und letzteres als einen sinnlichen Eindruck auffasst, der vom eidos nicht mehr als ein „Abbild“ (eikon) oder einen „Anschein“ (phantasma) liefert.
Eine weniger vorsichtige, aber, wie ich hoffe, phantasievollere und produktivere Weise, mit diesem Problem umzugehen, besteht darin, der Versuchung nachzugeben, Ideen als Bilder zu sehen, und dem Problem der Rekursion freies Spiel zu lassen. Dies verlangt nach Beachtung der Art und Weise, wie Bilder (und Ideen) sich verdoppeln: der Weise, wie wir den Akt der Verbildlichung verbildlichen, die Tätigkeit der Vorstellungskraft vorstellen, die Praxis der Darstellung darstellen. Diese verdoppelten Bilder und Darstellungen – materielle (pictures) und immaterielle (images) –, auf die ich mich, wenn auch möglichst selten, mit dem Wort „Hyperikon“ beziehe, sind Strategien, der Versuchung nachzugeben, Ideen als Bilder zu sehen, und zugleich ihr zu widerstehen. Platos Höhle, die Wachstafel des Aristoteles, Lockes Dunkelkammer, Wittgensteins Hieroglyphe – sie alle sind Beispiele des „Hyperikon“, die uns, zusammen mit der volkstümlichen Trope vom „Spiegel der Natur“, Modelle für unser Denken über alle Arten von Bildern liefern – seien es mentale, verbale, pikturale oder perzeptuelle. Und sie stellen, wie ich zeigen werde, die Bühne zur Verfügung, auf der sich die Ängste, die wir mit Bildern verbinden, in einer Vielzahl von ikonoklastischen Diskursen äußern und auf der wir die Behauptung rationalisieren können, dass, was immer Bilder auch sein mögen, Ideen etwas anderes sind als Bilder.
I. Die Frage
Es hat Zeiten gegeben, in denen die Beantwortung der Frage „Was ist ein Bild?“ eine brisante Angelegenheit war. Im Byzanz des achten und neunten Jahrhunderts, das zerrissen war vom Streit zwischen Kaiser und Patriarch, hätte einen die Antwort sofort als Anhänger der einen oder der anderen Partei ausgewiesen: als radikalen Bilderstürmer, der die Kirche vom Götzendienst der Idolatrie zu reinigen bestrebt ist, oder als konservativen Ikonodulen, dem daran gelegen ist, traditionelle liturgische Bräuche zu bewahren. Der Konflikt um die Natur und den Zweck von Ikonen, der sich als Disput um subtile Fragen des religiösen Rituals und die Bedeutung von Symbolen darstellte, war eigentlich, wie Jaroslav Pelikan zeigt, „eine verkappte soziale Bewegung“, die „ein dogmatisches Vokabular verwendete, um einen hauptsächlich politischen Konflikt zu rationalisieren“. (Vgl. Jaroslav Pelikan, The Christian Tradition, 5 Bde., University of Chicago Press 1975-1991; Bd. 2: The Spirit of Eastern Christendom (600 -1700), Kap. 3: “Images of the Invisible”) Im Unterschied dazu lag im England der Mitte des 17. Jahrhunderts die Beziehung zwischen sozialen Bewegungen, politischen Fragen und der Natur bildlicher Darstellungen ziemlich offen zutage. Man könnte ohne große Übertreibung behaupten, dass es im englischen Bürgerkrieg um die Bilderfrage ging, und zwar nicht etwa um Statuen und andere materielle Symbole im religiösen Ritual, sondern um so wenig greifbare Dinge wie das „Idol“ der Monarchie und die „Idole des Geistes“ überhaupt, die die Reformatoren in sich selbst und in anderen abzutöten trachteten.
Wenn heute bei der Frage, was Bilder sind, weniger auf dem Spiel zu stehen scheint, dann nicht, weil sie ihre Macht über uns verloren hätten, und gewiss auch nicht, weil ihre Natur mittlerweile verstanden worden wäre. Es ist eine Binsenweisheit der modernen Kulturkritik, dass Bilder in unserer modernen Welt eine Macht besitzen, von der sich die alten Bilderverehrer nichts hätten träumen lassen. Und angesichts der Entwicklung der modernen Kritik scheint es nicht weniger evident zu sein, dass die Frage nach der Natur bildlicher Darstellungen nun dem Problem der Sprache nachgeordnet ist. Wie die Linguistik ihren Saussure und ihren Chomsky hat, so hat die Ikonologie ihren Panofsky und ihren Gombrich. Die Existenz dieser großen Synthetiker ist aber kein Anzeichen dafür, dass die Rätsel der Sprache oder der Bildlichkeit kurz vor ihrer endgültigen Lösung stünden. Tatsächlich ist die Situation genau umgekehrt: Sprache und Bildlichkeit sind nicht mehr das, was sie für die Kritiker*innen und Philosophen der Aufklärung zu sein versprachen – vollkommene, transparente Medien, die die Wirklichkeit repräsentieren und so dem Verstand zugänglich machen können. Für die moderne Kritik sind Sprache und Bildlichkeit zu Rätseln geworden, zu erklärungsbedürftigen Problemen, zu Gefängnismauern, die den Verstand von der Welt abschließen. Die modernen Untersuchungen gehen davon aus, dass Bilder als eine Art Sprache verstanden werden müssen; man hält Bilder nicht mehr für transparente Fenster zur Welt, sondern begreift sie als die Sorte Zeichen, die sich trügerisch im Gewand von Natürlichkeit und Transparenz präsentiert, hinter der sich aber ein opaker, verzerrender, willkürlicher Mechanismus der Repräsentation, ein Prozess ideologischer Mystifikation verbirgt.
[Mein] Essay beabsichtigt weder zum theoretischen Verständnis des Bildes beizutragen noch die ständig wachsende Menge ikonoklastischer Polemiken um eine weitere Kritik der modernen Idolatrie zu vermehren. Mir geht es vielmehr darum, einige der „Sprachspiele“ wie Wittgenstein sie nennen würde, genauer zu betrachten, die wir mit dem Begriff des Bildes spielen, und einige Fragen über die historischen Lebensformen aufzuwerfen, die diese Spiele spielen. Ich habe daher nicht vor, eine neue oder bessere Definition vom Wesen der Bilder zu geben oder auch irgendwelche speziellen Abbildungen oder Kunstwerke zu untersuchen. Stattdessen werde ich mich der Frage widmen, auf welche Weise wir das Wort Bild in verschiedenen institutionalisierten Diskursen verwenden – in der Literaturkritik, der Kunstgeschichte, der Theologie und der Philosophie –, und ich werde die Art, in der jede dieser Disziplinen von Begriffen der Bildlichkeit Gebrauch macht, die sie bei ihren Nachbar*innen geborgt hat, einer Kritik unterziehen. Es geht mir darum, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie unser „theoretisches“ Verständnis der Bildlichkeit in sozialen und kulturellen Praktiken verankert ist und wie es in einer für unser Verstehen – nicht nur des Wesens der Bilder, sondern auch der jetzigen oder künftigen Natur des Menschen – grundlegenden Geschichte wurzelt. Bilder sind nicht bloß eine spezielle Art von Zeichen, sie sind vielmehr so etwas wie ein Schauspieler auf der Bühne der Geschichte, eine Gestalt oder ein Charakter von legendärem Status in einem historischen Zusammenhang, der den Geschichten entspricht und an ihnen beteiligt ist, die wir uns über den Gang unserer Entwicklung erzählen: einer Entwicklung von Geschöpfen, die „nach dem Bilde“ eines Schöpfers geschaffen sind, zu Wesen, die sich selbst und ihre Welt nach ihrem eigenen Bilde schaffen. […]