Hassen Sie Interviews?
So würde ich es nicht sagen, aber ich mag sie nicht, das muss ich zu geben.
Sie haben eine Reihe langer Interviews mit bedeutenden marxistischen Intellektuellen geführt.
Ich habe diese Interviews für mich selbst gemacht, weil ich verstehen wollte, und als sich die Gelegenheit dafür bot. Der Grund war, dass die Positionierung der internationalen Linken, genauer genommen der Kommunist*innen, Syrien gegenüber beschämend war. Viele ergriffen Partei für das Assad-Regime, weil sie die Welt noch heute durch das Narrativ des Kalten Kriegs betrachten. Sie haben sich einem aktuellen, komplexen Phänomen mit sehr veralteten Analysewerkzeugen genähert.
Genauso war es in der Ukraine!
Absolut! Deshalb denke ich, dass wir [Syrer*innen] den Kampf in der Ukraine besser verstehen als andere Menschen, und auch die Frustration, weil auch das Narrativ rund um unsere Bewegung manipuliert wurde. Für viele war das nur eine US-amerikanisch geleitete ausländische Verschwörung mit dem Ziel, die Region zu destabilisieren. Noam Chomsky hatte mit dem Nahen Osten zu tun und ich wollte, dass er über Syrien spricht. Er ist ein brillanter Denker und für mich ist es wichtig zu wissen, wie er die Situation einschätzt. Er war bescheiden und gab keine Ratschläge. Ich wünschte, mehr Menschen, die in der Position sind, über das Schicksal anderer zu bestimmen, wären so bescheiden. Ich teile seine Meinung aber nicht in allen Punkten, weil er immer noch die amerikanische Außenpolitik als das große Übel sieht, das sich überall einmischt. Für mich werden Chomskys brillante Analysen manchmal von dieser Über-Obsession überschattet.
Wie lange leben Sie schon in Deutschland und wie kam es dazu?
Ich bin über die Heinrich-Böll-Stiftung, die politische Stiftung der Grünen in Deutschland, hierher gekommen. Ich hatte keine Papiere und keinen Wohnsitz im Libanon. Sie ermöglichte meine Reise vor allem gemeinsam mit der deutschen Botschaft in Beirut, wo ich damals lebte. Danach bekam ich als Geflüchteter ein Asyldokument für die Reise.
Ist das eine Quelle für Ihr Engagement?
Das ist kein Engagement, ich lebe diese Erfahrung. Aktuell arbeite ich zum Beispiel mit einer Gruppe junger weiblicher Geflüchteter an einer Adaption der Iphigenie. Sie sind alle keine professionellen Schauspielerinnen und alle innerhalb der letzten zwei Jahre nach Berlin gekommen. Der komplizierte Prozess der Ankunft an einem neuen Ort ist genau das, was ich momentan selbst durchmache. Ich versuche, die verschiedenen Aspekte dieser Erfahrung zu begreifen.
Während und nach der syrischen Revolution haben Sie viele analytische Beiträge über die Situation geschrieben, sehen Sie sich selbst als Journalist?
Nein, ich sehe mich nicht als Journalist. Vor der Revolution habe ich Rezensionen hauptsächlich über das Theater und das Kino geschrieben, aber unregelmäßig und nur, wenn mir danach war. Während der syrischen Revolution hatte ich den Drang, meine Stimme zu erheben. Ich bin Autor. Ich schreibe für das Theater, das Theater ist mein eigentliches Werkzeug. Das Theater ist der Ort, wo ich tiefer über die Dinge nachdenken kann. Aber damals dachte ich, wenn ich schon Zugang zu Publikationsmöglichkeiten habe, sollte ich diesen Vorteil auch nützen. Die Menschen außerhalb Syriens wussten kaum etwas über uns, und wenn doch, dann basierte es oft auf Stereotypen.
Sie haben einmal Tschechow und Brecht als Ihre bevorzugten Dramatiker genannt. Mittlerweile haben Sie sich völlig dem dokumentarischen Theater verschrieben. Können Sie etwas zu dieser Veränderung sagen?
Das ist ganz einfach. Zu Beginn der Revolution stand ich, wie viele Syrer*innen, unter Schock; wir verstanden nicht, wie all das, was rund um uns geschah, passieren konnte. Selbst wenn man sein Leben lang davon geträumt hatte, niemand, der in einem so brutalen, totalitären System aufgewachsen war, hätte sich jemals eine derartige Explosion vorstellen können; all die Basisbewegungen und ihre Forderungen nach Freiheit. All das aus dem Nichts und außerhalb jeglicher politischer Strukturen entstehen zu sehen, war ein riesiger Schock. Wir waren wie gelähmt, aber auch sehr glücklich. In diesen ersten Revolutionstagen stellte ich die Bedeutung des Theaters in Frage. Ist es der richtige Zeitpunkt für Theater oder muss man anders über diesen Moment reflektieren? Ich suchte auch nach einer direkteren Form politischen Mitwirkens. Diese Ideen haben mich beschäftigt.
Während der Maidan-Aufstände und zu Beginn des Kriegs in der Ukraine gab es viele ähnliche Fragen. Es ging ein enormer Riss durch die Biografien.
So ging es mir auch. Eigentlich war der Auftrag für das Stück Look at the street … this is what hope looks like Zufall, aber während des Arbeitsprozesses verstand ich, dass ich mich auf das Theater konzentrieren musste. Es war mir sehr wichtig, mich in einem derartigen Umbruch, während dieser großen, gewaltsamen Transformation, nicht zurückzuziehen. Das war der schwierigste Test für mich und mein Verhältnis zu meinen Werkzeuge. Ich hatte immer an das Theater als starkes politisches Mittel geglaubt, daran, dass es wesentlich zu sozialen und politischen Debatten beitragen kann. Das ist auch der Grund weshalb ich nach kurzem Zögern zu Beginn der Revolution und nachdem ich das erste Stück geschrieben hatte, mich in meinem Versuch, alles zu reflektieren, mehr denn je dem Theater zuwandte.
Welchen Theaterformen?
Welche Theaterform kann die Umbrüche der Realität wiederspiegeln? Ich bin kein Außenseiter. Ich bin physisch, geistig und emotional betroffen und involviert. Und ich bin nicht alleine, ich arbeite mit Partner*innen. Mit jeder Wendung der andauernden syrischen Tragödie haben wir versucht, Formen zu finden, die unseren momentanen Fragen gerecht wurden. Wir versuchten darüber nachzudenken, was während des Aufruhrs am heikelsten und dringlichsten war, aber die Formen ändern sich ständig, weil sich auch die Fragen, die Überzeugungen, die Gültigkeit der Wörter und ihre Funktionen ständig verändern.
Die ersten paar Versuche (wie Look at the street … this is what hope looks like und Online), waren von unserem Interesse geprägt, aufzuzeigen, wie wichtig für die jungen Menschen während der ersten Revolutionstage in der arabischen Welt die Kommunikation über die sozialen Medien war. Außerdem wollten wir die Ästhetik der mit der zunehmenden Präsenz der sozialen Medien aufkommenden Sprache untersuchen. Die erste Fassung von Could you please look at the camera? war ein rein dokumentarisches Theaterstück auf der Grundlage von Haftzeugnissen. Später kombinierte ich das Dokument mit Fiktionen, um andere Fragen verhandeln zu können, etwa wie Menschen nach der Entlassung aus dem Gefängnis mit den Konsequenzen ihrer Haft zurechtkommen, und Fragen zur oberen Mittelschicht von Damaskus und ihr Verhältnis zur Revolution. Diese Letztfassung wurde an vielen Orten gespielt. Aber nach diesem Schwerpunkt auf konkrete Erzählungen aus der syrischen Situation hatte ich den Eindruck, dass es auch notwendig ist, die jüngere Geschichte der ganzen Region in den Blick zu nehmen, um irgendwie verstehen zu können, weshalb wir heute mit einer derartigen Situation konfrontiert sind. Deshalb handelt das darauffolgende Stück, Intimacy, von der wahren Geschichte eines sudanesischen Schauspielers, der in den frühen 1990er Jahren aus seiner Heimat fliehen musste. In Intimacy haben wir versucht, anhand der persönlichen Geschichte dieses einen Schauspielers die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der gesamten Region von den 1980er Jahren bis heute zu erzählen.
Wer ist ihr potentielles Publikum? Schreiben sie für syrische oder europäische Menschen?
Man hat immer ein potentielles Publikum oder auch Menschen vor sich, die man ansprechen möchte. Man macht sich auch Gedanken darüber, wie die Arbeit aufgenommen wird. Ich schreibe über Themen; Themen, die aktuell unter Syrer*innen diskutiert werden oder vielleicht in der Zukunft zu Debatten werden könnten. Deshalb möchte ich die Arbeit zuerst immer Syrer*innen zeigen. Tatsächlich gibt es in der Region aber immer weniger Möglichkeiten für Theateraufführungen, weder für Syrer*innen noch sonst jemanden. Das ist traurig. Aus professioneller Perspektive musste ich mich aber an einem Publikum hier in Europa und Berlin orientieren. Im Zuge dessen habe ich verstanden, dass Vieles dafür spricht, die Auseinandersetzung mit einem neuen Publikum zu suchen: es ergeben sich neue Perspektiven und es hilft mit, die Dinge anders zu sehen.
Sind Sie manchmal arrogant gegenüber Menschen, die Ihre syrische Erfahrung und die Erfahrungen einer aus den Fugen geratenen Welt nicht teilen?
Nein, ich hoffe nicht. Manchmal merke ich, dass mir die Geduld abhanden kommt, Tag für Tag erneut grundlegende Dinge zu erklären und naive Fragen zu beantworten. Gelegentlich ist das sehr frustrierend. Ich weiß, Frustration bringt nichts, aber ich bin ein Mensch, kein Prophet, ich habe das Recht darauf, von der Faulheit anderer Menschen irritiert zu sein. Manchmal bin ich genervt von Oberflächlichkeiten und einfachen Analysen über uns, es tut weh. Aber habe ich mich während des Massakers in Ruanda selbst genug engagiert? Daran erinnere ich mich, um nicht in die Falle negativer Frustrationen zu tappen.