Ihre Klanginstallation übersetzt Zeitungsartikel zu Flucht und Migration aus dem Deutschen in die Sprachen der Protagonist*innen. Eine Textcollage der Vielstimmigkeit. Was hat Sie inspiriert?
Ich fand die Aufgabe, mich im Jahr 2016 erneut mit Flucht und Migration zu beschäftigen, spannend, aber auch sehr kompliziert. Die Themen waren derart omnipräsent, dass ich nicht noch mehr persönliche Geschichten beisteuern wollte. Irgendwann kam mir dann die Idee, bereits bestehende Zeitungsartikel auszuwerten, um sie zu Monologen zusammenzusetzen, in der Übersetzung frei zu verwenden und damit auf eine Art auch musikalisch zu nutzen. Zwischendurch habe ich mich zwar für dieses Riesenprojekt verflucht – auf 12 Kanälen, in sieben Sprachen und mit 14 Sprecher*innen zu arbeiten. Letztlich aber war es der richtige Weg, um die Darstellung Geflüchteter noch einmal neu zu lesen. Durch die Struktur der Collage bestand weder die Gefahr, zu stark in persönliche Geschichten einzugreifen, noch einzelne Protagonist*innen auszustellen.
Ihr Stück ist auch ein Spiel mit der Übersetzung. Was verbindet Sie mit dem Thema?
Zum einen muss ich in meiner Radioarbeit meistens jeden O-Ton ins Deutsche übertragen. Ich fand es interessant, den Prozess umzudrehen und die Texte in den Sprachen der Herkunftsländer zu hören. Zum anderem interessieren mich die Missverständnisse und Ungenauigkeiten, die zwischen den Sprachen stecken. Vieles ist mir erst während der Arbeit an Achtung, Aufnahme! bewusst geworden, als die Übersetzer*innen und Sprecher*innen die Mediendarstellungen aus ihrer Perspektive sprachlich und inhaltlich kommentiert haben.
Meinen Sie damit auch Missverständnisse in der Berichterstattung im Allgemeinen? Ist ihre Arbeit auch eine Art Kritik an den Medien?
Kritik stand für mich nicht im Vordergrund, dafür war die Auswahl der Texte auch zu unsystematisch. Aber ein gewisses Ungleichgewicht ist mir schon aufgefallen. Vor allem natürlich, dass in Porträts und Reportagen Syrer*innen mit Abstand am häufigsten auftauchten und auch, dass es fast ausschließlich sehr gebildete Protagonist*innen waren. Es gab kaum Menschen aus bildungsfernen Schichten, über die ich längere Geschichten gefunden habe. Daraus klang oft das Bemühen, Geflüchtete auf eine Art darzustellen, die den Leser*innen vermittelt: Die sind eigentlich alle wie wir, die können bleiben. Bei den Afghan*innen war es dann schon deutlich ambivalenter. Und bei Kosovo-Albaner*innen nochmal ganz anders: In Reportagen über sie ging es meist um sichere Drittstaaten, um Rückkehrer*innen, und oftmals waren es Perspektiven von Menschen, die bereits zurück im Kosovo waren.
Im Audioguide, der die Gespräche mit Übersetzer*innen und Sprecher*innen dokumentiert, sagen diese teils sehr deutlich, was sie von bestimmten Darstellungen und Übersetzungen halten. Inwieweit haben sie das Projekt beeinflusst?
Entscheidend, würde ich sagen. Mit manchen habe ich ja schon während der Übersetzungen Gespräche geführt, die im Audio-Guide nachzuhören sind. Sie waren direkt daran beteiligt, Begrifflichkeiten und Inhalte zu klären. Und auch mit den Sprecher*innen gab es im Tonstudio manche Diskussion. So habe ich zum Beispiel erfahren, dass in Eritrea niemand von einem Bürgerkrieg, sondern man von einem Befreiungskrieg im eigenen Land spricht. Dass Pol*innen sich niemals als Osteuropäer*innen bezeichnen würden und dass das Wort „Feierabend“ auf viele irritierend wirkt. In einem Text wundert sich eine Spanierin in Deutschland, was die Deutschen nach Ende des Berufstages denn eigentlich immer so zu feiern hätten. Das Wort ist dann auch ins Hörspiel eingeflossen. Auch über Wörter, die in den vergangenen zwei Jahren neu entstanden sind, habe ich einiges gelernt. Dass beispielsweise das Wort „Heim“ in diversen Sprachen adaptiert wird oder dass in Tigrinya das Wort „Congra“ ein neuer Slang für Aufenthaltsgenehmigung ist, das sich vom englischen Wort Congrats ableitet. Viele Araber*innen nutzen außerdem seit einer Weile das neue Wort „Bilm“ für Schlauchboot – woher es tatsächlich kommt, wusste auch der Arabisch-Übersetzer nicht.
Wie haben Sie aus der Masse so vieler Erzählungen bestimmte Themen und Herkunftsländer ausgewählt?
Wir haben mit sieben Sprachen und zehn Monologen gearbeitet: Albanisch für Kosovo und Albanien, Arabisch für Irak und Syrien, Dari für Afghanistan, Spanisch, Polnisch, Tigrinya für Eritrea und Deutsch. Die Auswahl kam über Zuwanderungs-Statistiken für 2015. Ich habe mich ganz bewusst für Texte aus diesem Jahr entschieden, weil es die Zeit vor den Kölner Vorfällen von Silvester 2015 war, als die Medien Geflüchtete noch deutlich anders als heute darstellten. Ich habe mir Statistiken für die größten Gruppen, die Asylanträge in Deutschland stellen, sowie für EU-Zuwanderung angeschaut und daraus ausgesucht. Mich haben dabei auch die Fälle mit ungeklärter Herkunft interessiert, die immerhin zu den zehn größten Gruppen von Asylbewerber*innen zählen. Oft geht es da ja auch um Verschleierungen, was wiederum viel mit Sprache zu tun hat. Dann beispielsweise, wenn es in Anhörungen darum geht, herauszubekommen, wo jemand herkommt.
In Ihrem Hörspiel ist auch einiges bewusst unverständlich, beispielsweise ein paar Sätze aus dem deutschen Grundgesetz. Warum?
Das war zunächst einmal ein formaler Ansatz. Wir hatten einen sehr geduldigen Sprecher gefunden, der Teile des Grundgesetzes rückwärts eingesprochen hat, und die Aufnahme habe ich dann vorwärts abgespielt. Ich kannte das Verfahren aus einem anderen Kontext und fand es spannend. Vor allem aber schien mir der Gedanke passend, das Grundgesetz, diesen für Deutschland so wichtigen Text, für unser Projekt umzukehren. Immer wieder werden in letzter Zeit schließlich „unsere“ Werte und damit auch das Grundgesetz aufgerufen. Menschen aus aller Welt sollen sich anpassen, aber mit dem Grundrecht auf Asyl wird nach wie vor gepokert.