Nur der moderne Staat, sowohl in seiner kolonialen als auch unabhängigen Gestalt, hatte die Ressourcen, ein Herrschaftsprojekt umzusetzen, das nur ein Schimmern im Auge seiner vorkolonialen Vorfahren war: nämlich nichtstaatliche Räume und Menschen unter seine Kontrolle zu bringen. Dieses Projekt repräsentiert im weitesten Sinne die letzte Einhegungsbewegung in Südostasien. Dies wird – allerdings ungeschickt und mit Rückschlägen – mindestens schon das gesamte letzte Jahrhundert verfolgt. Alle Regierungen – seien sie kolonial oder unabhängig, kommunistisch oder neoliberal, populistisch oder autoritär – haben sich dieses Ziel durchgängig und vorbehaltlos zu eigen gemacht. Dass Regimes, die sich ansonsten stark voneinander unterscheiden, alle unbeirrt dieses Ziel verfolgen, deutet darauf hin, dass solche Projekte der administrativen, wirtschaftlichen und kulturellen Standardisierung fest in die Architektur des modernen Staates einprogrammiert sind.

Aus dem Zentrum des Staates betrachtet, ist diese Einhegungsbewegung teilweise ein Bestreben, die Menschen, Ländereien und Ressourcen an der Peripherie so zu integrieren und zu monetarisieren, dass sie rentabel werden – prüffähige Beitragende zum Bruttosozialprodukt und Devisenbringer*innen. Tatsächlich sind periphere Bevölkerungen schon immer wirtschaftlich fest mit dem Flachland und dem Welthandel verbunden. In einigen Fällen scheint es so, als hätten sie die meisten Produkte hergestellt, die im internationalen Handel nachgefragt werden. Trotzdem wird der Versuch, sie vollkommen einzugliedern, kulturell als Entwicklung, wirtschaftlicher Fortschritt, Alphabetisierung und gesellschaftliche Integration bezeichnet. In der Praxis bedeutet es etwas anderes. Das Ziel ist weniger, sie produktiver zu machen; vielmehr geht es darum, sicherzustellen, dass ihre wirtschaftliche Aktivität lesbar, besteuerbar, bewertbar und zu beschlagnahmen war, oder, wo dies nicht möglich war, sie durch Produktionsformen zu ersetzen, die dies ermöglichten. Wo immer sie es konnten, haben Staaten mobilen, Wanderlandwirtschaft betreibende Bäuer*innen gezwungen, sich in Dörfern niederzulassen. […] Wo immer möglich, haben sie Geldverkehr, Monokulturen und eine Plantagenlandwirtschaft zu Ungunsten der zuvor vorherrschenden biodiverseren Formen der Landwirtschaft gefördert. Der Begriff „Einhegung“ ist absolut angemessen für diesen Prozess, denn er verweist auf die englischen Einhegungen, die in den hundert Jahren nach 1761 die Hälfte der urbaren Allmenden zugunsten von privater, kommerzieller Produktion im großem Maßstab verschluckten.

Der neue und revolutionäre Aspekt dieser großen Einhegungsbewegung wird deutlich, wenn wir unsere historische Linse auf die größte Blendenöffnung einstellen. Die frühesten Staaten in China und Ägypten – und später Chandra-Gupta-Indien, das antike Griechenland und das republikanische Rom – waren demografisch betrachtet unbedeutend. Sie besetzten einen winzigen Anteil des Landes der Welt, und ihre Untertanen waren nicht mehr als ein Abrundungsfehler in den Bevölkerungszahlen der Welt. Im kontinentalen Südostasien, wo die ersten Staaten erst gegen Mitte des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung entstanden, ist ihre Spur auf dem Land und in ihrer Bevölkerung relativ trivial, wenn man sie mit ihrem übergroßen Platz in den Geschichtsbüchern vergleicht. Kleine, mit Wassergräben und Mauern umgebene Zentren mit tributpflichtigen Dörfern, waren diese kleinen Knoten der Hierarchie und Macht sowohl instabil als auch geografisch begrenzt. Einem nicht von archäologischen Überresten und staatszentrischer Historiografie hypnotisierten Auge wäre die Landschaft wie eine Peripherie ohne Zentren vorgekommen. Fast die gesamte Bevölkerung und das gesamte Territorium waren außerhalb ihrer Grenzen.

Obgleich diese Staatszentren winzig waren, verfügten sie über einen singulären strategischen und militärischen Vorteil: ihre Fähigkeit, Arbeitskraft und Lebensmittel an einem Ort zu konzentrieren. Bewässerter Reisanbau auf permanenten Feldern war der Schlüssel. Als neue politische Form war der Padi-Staat eine Ansammlung bisher staatenloser ethnischer Gruppen. Einigen Untertan*innen erschienen die Möglichkeiten für Handel, Wohlstand und Status, die an den Zentren des Hofs bestanden, zweifellos reizvoll, während andere, fast sicher die Mehrheit, bei Kriegshandlungen Gefangene und Versklavte waren. Die riesige „barbarische“ Peripherie dieser kleinen Staaten war in mindestens zweierlei Hinsicht eine unerlässliche Ressource. Erstens war sie die Quelle von Hunderten wichtiger Handelsgüter und Waldprodukten, notwendig für den Wohlstand des Padi-Staates. Und zweitens war sie die Quelle des wichtigsten Handelsgutes überhaupt: den menschlichen Gefangenen, die das Arbeitskapital eines jeden erfolgreichen Staates bildeten. […]

Die riesige unbeherrschte Peripherie, die diese winzigen Staaten umgab, stellte zudem gleichzeitig eine Herausforderung und Bedrohung dar. Sie war flüchtigen, mobilen Populationen eine Heimat, deren Art, ihren Lebensunterhalt zu sichern, jede staatliche Vereinnahmung sehr schwierig machte. Genau die Vielfalt, Wechselhaftigkeit und Mobilität ihres Lebensunterhalts bedeutete für einen auf sesshafte Landwirtschaft ausgerichteten Staat, dass diese unregierte Landschaft und ihre Bevölkerung steuerlich steril waren. Und wenn diese keinen Handel treiben wollte, bekam man auch aus einem anderen Grund keinen Zugang zu ihrer Produktion. Während die frühen Staaten fast überall auf urbaren Ebenen und Plateaus basierten, lebte ein Großteil der zahlreichen unregierten Population in einem aus staatlicher Perspektive betrachtet geografisch schwierigem Terrain: Berge, Feuchtgebiete, Moore, trockene Steppen und Wüsten. Selbst wenn, was selten der Fall war, man sich ihre Produkte aneignen konnte, waren sie gewissermaßen außer Reichweite, da sie so weit verstreut waren und der Transport schwierig. Beide Zonen waren ökologisch komplementär und daher natürliche Handelspartner, aber ein solcher Handel ließ sich in den seltensten Fällen erzwingen; er hatte die Form eines freiwilligen Austauschs.

Für frühe staatliche Eliten war die Peripherie […] auch eine potenzielle Bedrohung. Es kam selten vor, […] dass eine militarisierte Landbevölkerung den Staat überrannte und ihn zerstörte oder an seiner Stelle herrschte. Üblicher war es, dass nichtstaatlich organisierte ethnische Gruppen es zweckmäßig fanden, die Siedlungen sesshafter Bauerngemeinden, die dem Staat untertan waren, zu überfallen; manchmal forderten sie systematisch Tribut von ihnen, wie dies auch Staaten tun. Genau wie Staaten sesshafte Landwirtschaft förderten, da diese leicht besteuert werden konnte, so fanden auch Angreifer*innen sie attraktiv, weil man sich dort leicht bedienen konnte.

Die wichtigste langfristige Bedrohung der unregierten Peripherie allerdings war, dass sie eine permanente Versuchung darstellte, eine ständige Alternative zum Leben innerhalb des Staates. Gründer*innen eines neuen Staates beschlagnahmten oft urbares Land von dessen vorherigen Bewohner*innen, die dann entweder integriert wurden oder wegzogen. Diejenigen, die flüchteten, wurden, so könnte man sagen, die ersten Geflüchteten vor der Staatsgewalt und stießen zu anderen dazu, die außerhalb staatlicher Reichweite lebten. Wenn die Reichweite des Staates sich erweiterte, waren wieder andere Menschen mit demselben Dilemma konfrontiert. […]

Sobald wir die Möglichkeit erwägen, dass die „Barbar*innen“„dort“ nicht nur ein Überbleibsel sind, sondern dass sie sich für ihren Ort, ihre Praktiken des Lebensunterhalts und ihre gesellschaftliche Struktur entschieden haben, um sich ihre Autonomie zu erhalten, bricht die standardmäßige zivilisatorische Erzählung der sozialen Evolution komplett zusammen. Die zeitliche zivilisatorische Reihenfolge – vom Sammeln zum Brandrodungsackerbau (oder zum Pastoralismus bzw. der Naturweidewirtschaft) zur sesshaften Getreidekultivierung, zum bewässerten Nassreisanbau – und ihr annähernder Zwilling, die Entwicklung von umherstreichenden Gruppen von Waldbewohner*innen zu kleinen Rodungen, zu Weilern, zu Dörfern, Städten und schließlich höfischen Zentren: Darauf stützt sich das Gefühl der Überlegenheit des Staates.

Was aber, wenn die mutmaßlichen Stadien dieser Serie tatsächlich ein Feld gesellschaftlicher Optionen sind, von denen jede eine spezifische Positionierung dem Staat gegenüber darstellt? Und was, wenn über große Zeiträume hinweg sich viele Gruppen strategisch zwischen diesen Optionen in Richtung der angeblich „primitiveren“ Formen bewegt haben, um sich den Staat vom Leibe zu halten? Aus dieser Perspektive betrachtet, ist der zivilisatorische Diskurs der Staaten in den Ebenen – und nicht wenige frühere Theorien der sozialen Evolution – nicht viel mehr als eine wichtigtuerische Art, den Status ihrer Staatsbürger*innen mit der Zivilisation zu verwechseln, und den sich selbst regierender ethnischer Gruppen mit Primitivität.

Die Logik des hier hervorgebrachten Arguments würde diese Logik grundsätzlich umdrehen. Die meisten, wenn nicht alle der Eigenschaften, die Bergbevölkerungen zu stigmatisieren scheinen – ihr Standort am Rand, ihre physische Mobilität, ihre Wanderlandwirtschaft, ihre flexible gesellschaftliche Struktur, ihre religiöse Heterodoxie, ihre Gleichberechtigung und sogar ihre nicht auf Schrift, sondern auf mündlicher Überlieferung basierende Kultur –, sind weit davon entfernt, Zeichen für Primitive zu sein, die von der Zivilisation zurückgelassen wurden. Sie sollten vielmehr in einer langfristigen Perspektive als Anpassungen betrachtet werden, die sowohl staatliche Erfassung als auch Staatsbildung umgehen sollte. Mit anderen Worten, es gibt politische Anpassungen von nichtstaatlichen ethnischen Gruppen an eine Welt von Staaten, die gleichzeitig attraktiv und bedrohlich sind.