Die Weltverbesserung durchlebte verschiedene Krisen und bewegte unterschiedliche Kreise. Einer davon war der Club of Rome in den 1970er Jahren, ein anderer das erste WEF in Davos. 1971 gegründet, überlebte es nicht nur alle seitherigen wirtschaftlichen Krisen, sondern nahm an Bedeutung zu, selbst wenn manche dies gern bestreiten. Eine Buchreihe, die international tätige Organisationen untersucht, stellte bereits vor Jahren fest: Das WEF beeinflusst sowohl die globale politische Zusammenarbeit und Sicherheit als auch die Weltwirtschaft. Und das obwohl – oder vielleicht auch weil – das WEF eine private und keine zwischenstaatliche Institution ist. (Vgl. Geoffrey Allen Pigman: The World Economic Forum. A multi-stakeholder approach to global governance. Routledge: London/New York 2006) […]

Polyvalent und anpassungsfähig: Klaus Schwab
Betriebswirtschaft als Beruf, globale Wirtschaft als Berufung: Das Verbinden, Assoziieren, das Multidisziplinäre, die Links zwischen ökonomischem, Bildungs- und Sozialkapital – all das zieht sich wie ein roter Faden durch den Werdegang des Klaus Schwab, dem Gründer des WEF. Der Sohn eines süddeutschen Vaters mit Schweizer Verwandtschaft und einer Schweizer Mutter studierte technische Wissenschaften (ETH Zürich) und Wirtschaftswissenschaften (Universität Freiburg, CH). Dieses doppelte Wissen konnte Klaus Schwab anwenden, als es in den späten 1960er Jahren um die Zukunft des Maschinenunternehmens Escher Wyss ging, dessen Ravensburger Filiale Schwabs Vater leitete. Bereits in der Depression der 1930er Jahre drohte dem traditionsreichen Zürcher Industrieunternehmen, das mit seinen Turbinen und Dampfschiffen ein internationaler Player war, das Aus. Die Rettung kam durch eine Art Public-Private-Partnership zustande: Die Regierungen von Stadt und Kanton Zürich retteten Escher Wyss zusammen mit Banken und privaten Industriellen. In den 1960er Jahren geriet Escher Wyss infolge des internationalen Wettbewerbs in die Bredouille. Die Zeit der Staatsrettungen von Industrieunternehmen war vorbei. Stattdessen wurde nun, mit Hilfe von Klaus Schwab, fusioniert und Escher Wyss wurde Teil des Maschinen- und Technologiekonzerns Sulzer. Die Schiffbauhallen aus dem späten 19. Jahrhundert hatten ausgedient und konnten mittelfristig ihrer spätmodernen Konversion zugeführt werden. Heute steht der „Schiffbau“ fürs gleichnamige, staatlich subventionierte Theater, wo, was für ein feiner Zufall, Staat 4 seine Uraufführung erlebte.

Thinking Big: Harvard, die Europäische Kommission, der Club of Rome
„Peace and Prosperity“, gab US-Präsident Donald Trump beim WEF 2018 auf die Frage an, was sein Motto sei. Zwischen 1950 und 1973 betrug die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate in Westeuropa 4,06 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen 1913 und 1950 waren es durchschnittlich 0,78 Prozent gewesen. Hatten die USA die westeuropäischen Länder nach dem Krieg mit Marshall-Hilfe und logistischem Support wieder aufgebaut und in ihren Handelskreislauf eingegliedert, so erwuchs ihnen von dort mit der Zeit ernsthafte wirtschaftliche Konkurrenz. 1969 schwenkten die USA unter dem republikanischen Präsident Richard Nixon auf eine stärker unilaterale und teilweise protektionistische Wirtschaftspolitik um. Das internationale Währungssystem, das 1944 zur künftigen Stabilisierung der Weltwirtschaft und der Weltpolitik vereinbart worden war, verlangte von den europäischen
Regierungen durch die Koppelung ihrer Währungen an den Gold-Dollar-Standard das kontinuierliche Auffangen der Schwankungen der US-amerikanischen Währung.

Im Kontext dieser wirtschaftspolitischen Situation organisierte Klaus Schwab zusammen mit seiner Sekretärin Hilde Stoll ein europäisches Manager-Symposium im winterlichen Davos für mindestens 440 Teilnehmer*innen. Dass sich sendungsbewusste Intellektuelle, Unternehmer*innen oder Weltverbesserer auf Schweizer Bergen treffen, war nichts Neues. Man denke nur an den Monte Verità im frühen 20. Jahrhundert mit seinen Anarchistinnen, Künstlern und Lebensreformer*innen oder an den Mont Pèlerin, auf dem der urneoliberale Friedrich Hayek seine Gesinnungsgenossen 1947 versammelte. Zu denken ist aber auch an die „Davoser Hochschulkurse“, die von 1928 bis 1931 im Hotel Belvédère stattfanden. Diese von Albert Einstein mitbegründeten Kurse sollten einerseits den vielen tuberkulösen Studierenden, die in Davos kurten, geistige Nahrung bieten. Anderseits erhielten damit Intellektuelle aus den unterlegenen Nationen des Ersten Weltkriegs, die auf wissenschaftlichen Kongressen nicht mehr erwünscht waren, eine Plattform zum kollegialen Austausch. Das Streitgespräch zwischen den Philosophen Ernst Cassirer und Martin Heidegger von 1929 ging als „Davoser Disputation“ in die Philosophiegeschichte ein. Die Weltwirtschaftskrise machte die Pläne, aus den Kursen eine internationale Universität in Davos einzurichten, zunichte. Nun, 1971, erhielt der ehemalige Zauberberg und Disputationslokus eine neue Bestimmung.

The Spirit of Davos nach Klaus Schwab, das war auch der Spirit of Harvard. Nicht nur hatte die Business School die Idee eines Symposiums wohlwollend unterstützt. Der prominente Harvard-Ökonom John Kenneth Galbraith vertrat sowohl die Wohlstandsgesellschaft als auch die Planungsnotwendigkeit im Kapitalismus und die Annäherung von Ost und West, die mit Modi und Trump bis 2018 anhält.

Vom Planeten Europa zum Raumschiff Erde
Eine andere Vereinigung, der Club of Rome, ein 1968 vom italienischen Fiat-Industriellen Aurelio Peccei und vom schottischen Chemiker und Energieforscher Alexander King initiiertes Netzwerk von liberalen Weltverbesserern, tagte auch in der Schweiz. Seine Agenda beeinflusste das Davoser Symposium spätestens ab 1973 markant, als er den Bericht Die Grenzen des Wachstums von 1972 dort vorstellte. Der Club of Rome hatte den von Wissenschaftler*innen des MIT verfassten Bericht gesponsert und damit, mitten in der internationalen Trendwende hin zu Umweltsensibilität und ökonomischem Abschwung, einen düsteren Bestseller lanciert. Zusätzlich zur aufkommenden Erdölkrise schien der auf billigem Öl und seinen Produkten gebaute westliche Wohlstand nicht nur aus ökologischen Gründen in Frage gestellt.

Die Engführung von Betriebs-, Volkswirtschaft und Good Governance, verbunden mit markttauglichen ökologischen und sozialen Reformen, wurde zu einem der Markenzeichen der 1971 nach dem ersten erfolgreichen Symposium als „European Management Forum“ eingetragenen Stiftung. Die Situation in der arabischen Welt hatte ein Arabisch-Europäisches Meeting begünstigt und bald kam ein Lateinamerika-Europa-Symposium hinzu, für welches das Forum unter anderem mit der Weltbank kooperierte, die in den 1980er Jahren zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds umstrittene Umschuldungs- und Strukturanpassungsprogramme für die verschuldeten Staaten des globalen Südens erließ.

Improving the State of the World!
1987 vollzog die Umbenennung der Organisation in World Economic Forum das, was faktisch schon länger klar war und einer doppelten, wirtschaftspolitischen und globalpolitischen, Dynamik folgte: Zum einen wurde die Liberalisierung der internationalen Devisen- und Kapitalmärkte eingeleitet, welche die Globalisierung des Handels- und Finanzsystems beförderte. Zum anderen zeigte sich der Beginn von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion, die ab 1989 in eine nicht mehr zu kontrollierende Kaskade des politischen Umbruchs in Osteuropa führen würde. Der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama analysierte diese Entwicklung als „Ende der Geschichte“ in  einem durchaus marxistischen Sinn: als Ende von Systemgegensätzen, die sich nun in der Durchsetzung eines auf Demokratie und Marktwirtschaft fundierten  Gesellschaftssystems zeigte. (Vgl. Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte, Kindler: München 1992)

What About the Vulnerable World? Die Gegenmacht
Anfang der 2000er Jahre befand sich nicht nur die Globalisierungseuphorie, sondern auch die Kritik daran auf dem Höhepunkt, die Weltwirtschaftsmacht generierte ihre eigene Gegenmacht. So verstand sich das ab 2001 im brasilianischen Porto Alegre durchgeführte World Social Forum (WSF) explizit als Reaktion auf das und als Alternative zum WEF. In Davos selber trat eine Gegenmacht an, um mit einem „Public Eye on Davos“ eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen. In Porto Alegre, im WSF oder im „anderen Davos“ war man sich einig: Die wirtschaftliche Globalisierung muss allen nützen und von den Menschen im globalen Süden mitgestaltet werden. Improving the State of the Vulnerable World. So ließe sich das Credo der Gegenmacht fassen, mit welchem sie Druck auf die Staaten des Nordens machte und gegen die Arroganz der Wirtschaftsmacht vorging. Darin traf sich die Bewegung mit sozialliberalen Ökonomen wie dem ehemaligen Clinton-Berater und Weltbank-Mitarbeiter Joseph Stiglitz, denen ebenfalls an einer gleichmäßigeren Entwicklung lag. Zwar nimmt die weltweite Armut ab – ein beliebtes Pro-Globalisierungsargument. Aber die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen ist vielerorts gestiegen und bereitet selbst OECD, Weltbank und Internationalem Währungsfonds Sorge.

Auch mit der antihegemonialen Kritik hat das agile WEF längst einen Umgang gefunden: Das „Open Forum“ empfängt die Zivilgesellschaft, es existiert eine Umwelt-, Sozial- und Gender-Agenda und seit 2017 werden für den globalen Wettbewerbsfähigkeitsreport (WEF 2018) gar Kriterien aus dem Human Development Index integriert – entwickelt von Ökonomen aus dem globalen Süden. Heutige WEF-Reporte können einfach mit Berichten diverser UN-Organisationen verwechselt werden, wenn von „Inclusive Growth“ und „The Future of Jobs and Skills in Africa“ über „Value in Healthcare“ bis zu „The Future of Humanitarian Response“ die Rede ist.

Seit langem ist das WEF zudem nicht nur eine Art Dating-Agentur zwischen Staaten und Unternehmen, sondern sieht sich auch als weltpolitische Mediationsplattform. Weltzustand Davos erinnert etwa an das Treffen zwischen Palästinas Yassir Arafat und Israels Yitzhak Rabin am WEF 2001. Proteste und WEF-Agenda zeigen: Die Annahme, es stünden sich in „postdemokratischen“ Zeiten ohnmächtige Staaten und eine mächtige Privatwirtschaft gegenüber, ist zu einfach. […]