Ich lese gerade Ursula K. Le Guins The Word for World is Forest (1972) – ein Science Fiction-Roman, der die Geschichte eines Planeten erzählt, der von den Erdbewohner*innen kolonialisiert wird, um ihren Verbrauch an Holz zu decken. Die Bewohner*innen dieser Welt, die Astheans, treten notgedrungen in Kontakt mit ihren Kolonisator*innen, den Menschen der Erde, und setzen sich mit deren Kosmologie auseinander. Sie versuchen zu verstehen, warum diese ihre eigene Welt – den Wald – roden und mit der Zerstörung die Besiedelung und „Ankunft ihrer Frauen” vorbereiten. Die Astheans können weder die Vorstellung von Natur als Ressource verstehen noch, dass es für die Menschen der Erde eine Welt jenseits des Waldes geben kann. Für sie sind Welt und Wald synonym. Auch Dein Programm Conference of Trees scheint spekulativ Fakten und Fiktion miteinander zu verweben: Du kombinierst unterschiedliche Materialien und Wissensformen, die die modernen Grenzziehungen von Wissenschaft und Mythos durchkreuzen. Kann man sagen, dass The Word for World is Forest, also der Wald als Fundamentalprinzip und Bedingung von Welt, Dein Anliegen fasst?

Was Du beschreibst, ist etwas, das mir sehr vertraut ist und sicherlich ein großes Motiv in der Beschäftigung mit dem Thema „Baum“, nämlich die Liebe zum Wald als Lebensraum. Für mich ist der Wald zunächst einmal eine „heile Welt“, ohne die wir Menschen nicht überleben können und die das Leben auf dem Planeten Erde überhaupt erst ermöglicht. Den Baum als Symbol für das Leben zu betrachten, also den „Wald als Welt”, finde ich fundamental, da er als biologischer Organismus reichhaltiges Leben spendet und dabei komplett kooperativ mit seiner Umgebung kommuniziert: Jedes Lebewesen und jeder biologische Organismus, der mit ihm in Verbindung steht, wird durch ihn im Einklang und gesund gehalten. Diese Erkenntnis habe ich seit meiner Kindheit aus direkter Erfahrung: Die Wälder und Bäume waren für mich ein geschützter Raum, den ich betreten konnte. In den Wäldern allein zu sein war für mich wichtig, auch um die destruktiven Seiten meiner Umgebung durchzustehen. Insofern ist es ein Thema, das mich schon lange begleitet.

In jüngerer Zeit hat mich Erwin Thomas Die geheime Sprache der Bäume: Die Wunder des Waldes für uns entschlüsselt (2018) für das Thema sensibilisiert. Ein Ökoladenbesitzer in Kreuzberg hat mir das Buch gegeben. Er fragte mich, ob ich an seiner Verleihbibliothek teilnehmen wolle. Ich sollte mir ein Buch ausleihen, es lesen, zurückbringen und ihm dann erzählen, was es mit mir gemacht hat. So habe ich es getan, und ich habe ihm dann versprochen, ein Stück Musik zum Thema zu machen. Bei meinen Recherchen bin ich auf eine sehr interessante Forscherin zum Thema gestoßen: Suzanne Simard von der Universität British Columbia. Sie beschreibt in dem TED-Talk How Trees Talk to Each Other Wälder als Familienstrukturen. Da geht es natürlich auch darum, näher an die Menschen zu kommen, sie zu sensibilisieren. Denn eigentlich ist das beschriebene Phänomen viel komplexer als eine menschliche Familienstruktur.

Wie bist Du auf den Titel gekommen? „Konferenz” klingt ja nach willentlicher Zusammenkunft, weniger nach alltäglich stattfindender Kommunikation. Für mich ruft das die derzeitigen Diskussionen auf, nicht-menschlichen Akteur*innen, der Natur, eine politische Stimme und Repräsentation zu geben, wie das etwa schon 2009 in der ecuadorianischen Verfassung verankert wurde.

Während der Recherche habe ich das Buch Die Konferenz der Vögel – ein Werk der Sufi-Mystik aus dem 12. Jahrhundert von Fariduddin Attar über die drohende Apokalypse und die Erleuchtung der Vögel gelesen. Es wurde ein weiterer atmosphärischer Träger im kreativen Prozess zu Conference of Trees. Und ja, es wäre wünschenswert, wenn diese enorme Komplexität, die in Wäldern und vor allem sehr alten Wäldern besteht, Grundrechte und einen Status als Rechtsform bekämen. Grundsätzlich ist die Botschaft, dass Bäume erstmal wahrgenommen werden als konkrete hochintelligente Lebensform. Im Stück versuchen wir ihnen menschliches Gehör und eine musikalische Sprache zu geben. Aber es fühlt sich auch manchmal so an, als hätten die Bäume uns zu ihrer Konferenz eingeladen, in der es um die destruktiven Kräfte der Zivilisation und des ihr zugrunde liegenden Wertesystems  geht: „Schützt uns und nutzt uns intelligenter! Pflanzt mehr Bäume! Wir sind das Leben und können neues Leben schenken!” Es sind aktive Akteur*innen auf unserem Planeten, die sicher seit Jahrtausenden in Konferenzen Informationen austauschen. Conference of Trees ist so etwas wie ein Raum, in dem sich auch unsere menschlichen Grundbedürfnisse nach sinnvoller Gemeinschaft wieder etablieren dürfen. Ich würde sogar sagen, aus Verzweiflung auch an meiner eigenen Rolle habe ich diese Konferenz versucht zu verklanglichen. Eine Nacht im Freien unter einem Baum zu verbringen ohne Lichtquelle und Technologie kann sehr erhellend sein, um zu verstehen, was vorgeht im Wald. Das hinterfragt auf so vielen Ebenen das, was unser mechanistisches Menschenbild im Augenblick prägt.

Dass zivilisatorische Werte des sogenannten Westens in Frage stehen und in Frage gestellt werden müssen angesichts der heutigen ökologischen und politischen Situation, ist ja zurzeit ein bestimmendes Gefühl. Wie übersetzt sich dieses Gefühl konkret in Deine Rolle als Musiker? Diese Verbindung, die Du ansprichst, finde ich sehr wichtig und interessant.

So viel Zeit mit Computern und elektrischen Maschinen zu verbringen wurde für mich etwas freudlos. Auch das solitäre Erarbeiten von Musik in hochtechnisierten Räumen erschien mir wenig sinnvoll. Stattdessen wollte ich durch die Kunst legitimiert mehr Zeit draußen verbringen und mit Holz arbeiten, um daraus Klangkörper zu bauen, die man auch im Konzert hört. Hierbei wurde mir durch die intensive Recherche klar, dass dem Ökosystem Wald eine Kraft, eine Ethik und ein Wertesystem zugrunde liegen, die mit dem westlichen Wertesystem wenig zu tun haben: Leben wird durch Gemeinschaft und intensive Kooperation ermöglicht, nicht durch Wettkampf. Das habe ich als heilsam empfunden, und das wollte ich in die Musik einbringen. Zunächst einmal nur für das Thema und die Gruppe von Menschen, mit denen ich daran arbeite. Im Laufe dieses Prozesses bin ich an sehr unterschiedlichen Stellen des Planeten gewesen. Ich habe dabei erfahren, wie tief das Thema des Pflanzenwissens und der Austausch von Informationen innerhalb des Ökosystems im Instrumentenbau verschiedener indigener Kulturen eingeschrieben ist. Aber es ist auch faszinierend, wie weit Technologie uns ermöglicht, Pflanzen sprechen zu lassen. Allerdings möchte ich Holz als Material durch sich selbst sprechen lassen. Und ich wollte selber zum Baum werden und auch die Gruppe von Musikern dazu in die Lage versetzen, selber Bäume zu werden. Anstatt ausschließlich einen Datensatz zu spielen, der die Zellbiologie spiegelt, sollen sie die Charakteristika der Pflanzen in die Spielweise übernehmen. Anstatt nur oberflächliche Aufmerksamkeit für Notationen zu generieren, möchten wir erfahren, mit welcher Harmonie etwas zu uns spricht, wie etwas aus dem Material resoniert und was es mit uns macht.

Das klingt für mich nach einer Mischung aus Deleuze und einem etwas romantischen Bild vom Wald. Aber entspricht diese heilende, organische Dimension des Waldes überhaupt der heutigen Realität von Wäldern? Stichworte Monokulturen, Wald- und Insektensterben… Denn: Was Du sagst oszilliert für mich zwischen etwas Romantischen und etwas Konstruktivistischen, auch Technophilem. Und die Verbindung finde ich faszinierend, weil sie normalerweise als Gegensätze begriffen werden. Kannst Du das, vielleicht anhand Eures Bühnensettings und der Kostüme erläutern? Und auch wie man das macht – Baum-Werden?

In der modernen Waldwirtschaft stehen für die Gemeinden und die Waldbesitzer*innen wirtschaftliche Erträge im Vordergrund. Es wird sehr brutal und vollautomatisiert mit Robotern geerntet. In Deutschland wird im besten Falle nach dem sogenannten „Lübecker Modell” gewirtschaftet. Hierbei wird sehr genau darauf geachtet, dass die Familienstruktur erhalten bleibt und sogenannte Mutterbäume nicht gefällt werden. Sie sind die Bodeninformationsträgerinnen und haben alle Organismen um sich, was zum Beispiel bei Trockenheit eine schnelle Gesundung erleichtert. Diese Infos und Organismen werden auch an andere Bäume weitergegeben. Um ein Beispiel zu geben: Die Videos, die man auf dem Zelt projiziert sieht auf der Bühne, sind in Wäldern aufgenommen, in denen ich recherchiert habe, zum Beispiel im Kellerwald, einem Nationalpark in Nordhessen. Ich filme die Wälder und Bäume von innen heraus an ruhigen Stellen mit der Kamera in der Hand, ohne Stativ. Es ist eine Übung: so lange wie möglich so ruhig zu werden wie ein Baum. Ich versuche einen Film von Bäumen als Baum zu machen, mir vorzustellen, wie weit mein Wurzelwerk reicht und wie weit die Äste in den Himmel wachsen. Man sieht in der Projektion manchmal, wie meine Hand leicht zittert oder meinen pumpenden Blutkreislauf. Ich schaue zu durch die Kamera, was mir Nähe und Distanz gleichzeitig ermöglicht. Manchmal wird mein Arm müde. Dann halte ich die Kamera, aber schaue mit meinen Augen an der Linse vorbei, und das im Wechselspiel. Es ist eine Kontemplation. Man nimmt die feinsten Bewegungen wahr. Wenn ich da länger drin bin, nehme ich im Inneren eine Sprache wahr. Es ist etwas tief Ergreifendes, das dort anfängt zu klingen. Diese Klänge, die ich im Inneren wahrnehme, übersetze ich auf Instrumente. Teilweise wurden Instrumente gebaut oder ich habe selber Holz bearbeitet. Vielleicht ist das romantisch oder konstruktivistisch, erstmal ist es reine Erfahrung nach Alfred North Whitehead oder?

Fast ja, William James war das. Aber ja, aus meiner Perspektive gehen reine Erfahrung und Konstruktivismus auch sehr gut zusammen. Ich finde es sehr plausibel, Deine Arbeit als Versuch zu beschreiben, Dich in Richtung reine Erfahrung vorzuarbeiten. Das beinhaltet ja vor allem den Versuch, hinter kulturelle, biologische und individuelle Wahrnehmungsgewohnheiten zurückzugehen. Das ist Arbeit. Aber mir scheint, ohne Veränderung der Weisen, wahrzunehmen und zu fühlen, kann es auch keine Veränderung der Denk- und Handlungsweisen geben. Ich denke, das erfahrbar zu machen, könnte heute eine interessante Aufgabe für künstlerische Praktiken sein, jenseits des Fokusses auf das Künstlersubjekt und das, was es mitzuteilen oder auszudrücken hat. Klassischerweise arbeiten ja vor allem spirituelle Praktiken wie Meditation an der Überschreitung der eigenen menschlichen und kulturellen Wahrnehmungsgewohnheiten – und das, was Du gerade beschrieben hast, klingt wie eine meditative Übung. Und natürlich tun das auch die Wissenschaften, die ja in vielem weit über unsere Alltagserfahrung hinaus gehen oder ihr sogar zuwiderlaufen.  

Mich interessiert der Blick hinter die sichtbare Materie, ihre inneren Kräfte und molekularen Strukturen. Bei Conference of Trees geht es um organische, biomorphe Fließbewegungen und fraktale, spiralenförmige Bewegungen in den Klängen. Unsere Waldgeister-Kostüme bilden mit Masken unsere Transformation auf der Bühne ab: Von einer Art animistisch belebter Biomasse transformieren wir uns zu Zwischenwesen, die auch Menschen sind, vielleicht Vermittler zwischen den Welten. Die Kimonos als rituelle Kleidungsstücke, die dann zum Vorschein kommen, sind mit runden Spiegeln besetzt. Im Schamanismus stehen diese für den Blick in die jenseitige Welt. Aber der Blick führt auch zu Wissen und Weisheit. Darunter kommen Stehkragenhemden zum Vorschein wie aus der Zeit des Bauhauses. Da sehen wir einfach wie ein klassisches Ensemble aus oder wie Wissenschaftler. Die Hemden sind allerdings aus Sri Lanka, und wenn man genauer hinsieht sehr bunt, schillernd und am ehesten eine Referenz an die klassische indische Musik. Darunter tragen wir T-Shirts mit einem Kreis auf Brust und Bauch. Das ist für mich die Auflösung des Themas und das Fazit. Mir geht es darum, die Zuschauer*innen zu ermächtigen in die verschiedenen Perspektiven einzutauchen und das Thema „Wald“ so in einer sehr unüblichen Weise zu erfahren.

Du bringst für Conference of Trees viele und sehr heterogene Wissensformen zusammen und hast sehr viel recherchiert. Der Versuch, heterogene Wissensformen ins Gespräch zu bringen, zu schauen, ob sie trotz der Allgegenwart der modernen Trennungen von Glaube und Wissen, Fakt und Fiktion, Natur und Kultur etc. kommunizieren können, und trotzdem einer Tradition und einem Medium, in Deinem Fall der Musik, treu zu bleiben, war und ist auch ein wichtiges Anliegen der Arbeitsgruppe Formations, dessen Mitglied Du bist. Was macht dieses Eintauchen in andere Felder mit Deiner künstlerischen Praxis?

Pflanzenkommunikation ist ein sehr konkretes Thema, an dem sich aktuelle gesellschaftliche Themen gut abbilden lassen. Die Choreographin Anna Halprin fragt zum Beispiel: Wie kann ich mit meiner Praxis im täglichen sozialen Umfeld etwas bewirken und Veränderungen herbeiführen? Wie kann ich bereits in der frühesten Phase der Entwicklung den richtigen geistigen Rahmen stecken? Auf Musik ist das genauso anwendbar wie auf Tanz. Bei Conference of Trees wird daraus eine immersive Musik, und als Auftragsarbeit stand bei dem Stück auch von Anfang an die Vermittelbarkeit meines Arbeitsprozesses im Fokus. Von Formations habe ich vor allem gelernt, die richtigen Fragen zu stellen. Mir wurde ein großes Vertrauen entgegengebracht. Das hat es leicht gemacht, tiefe Prozesse von Wissensproduktion in meine Arbeit pragmatisch miteinzubeziehen. Eine Metaebene in der eigenen Arbeit wahrzunehmen – das war und ist sehr hilfreich.

Danke für das Gespräch! Ich bin gespannt auf das Stück.