Über die Zukunft nachzudenken, bedeutet immer, von einem Standpunkt und von bestimmten Interessen aus zu denken. Die Rüstungsindustrie mag sich für zukünftige Waffen, politische Stabilität oder religiöse Toleranz interessieren. Die Umweltschutzbehörde vermutlich für steigende Meeresspiegel, Meinungen zu Umweltveränderungen oder die Entwicklung von Geo-Engineering. Ein kommerzielles Unternehmen interessiert sich für die zukünftigen Produkte der Konkurrenz, Materialkosten, die Nachfrage bei Konsument*innen oder neue Produktionsverfahren. Fragen, die wir über die Zukunft stellen, sind von der Wahrnehmung unseres eigenen Handelns geformt und unserem Gefühl, was wir zu tun glauben.
Die Zukunft der Bildung unterliegt einem Mythos, einem instrumentalisierten Konzept, das vor allem der formalen Wirtschaft dienen soll. Mit welcher Art von Wettbewerber*innen werden unsere Unternehmen in der Zukunft zu tun haben? Welche Fähigkeiten werden unsere Mitarbeiter*innen benötigen? Wie können wir uns im Kontext gesellschaftlicher und technologischer Veränderungen Wettbewerbsvorteile für das eigene Land sichern? Ein anderes Konzept von Bildung verlangt jedoch nach anderen Fragen über die Implikationen solcher Veränderungen für die mögliche Zukunft von Bildung.
Der Zweck von Bildung ist umfassender, als eine schlichte Dienstleistung für die formelle Ökonomie. Wir können die Rolle von Bildung als eine begreifen, die Bürger*innen und soziale Individuen über den Arbeitsplatz hinaus als Eltern, Nachbarn und Mitglieder einer Zivilgesellschaft anerkennt, in der sie sich einbringen. Wir können die Rolle von Bildung bei der Unterstützung und Entwicklung der individuellen Persönlichkeit anerkennen, indem sie Menschen dabei unterstützt, zu verstehen, zu wissen und sich selbst kennenzulernen. Wir können die Rolle von Bildung in der Betreuung von Kindern anerkennen, als ein Fundament für den Generationenvertrag. Wir können die Rolle von Bildung anerkennen, Schüler*innen in die reichhaltige Geschichte von Wissen, Kultur und Handwerk einzuführen, die sich über die Jahrhunderte entwickelt hat und die wir an die folgenden Generationen weitergeben wollen. Wir können außerdem die Rolle von Bildung beim Aufbau ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit für die Gemeinschaften anerkennen, denen sie dient.
Pädagog*innen, die darüber nachdenken, wie sich Bildung an zukünftige Veränderungen anpassen könnte, sollten den zukünftigen Arbeitsplatz nicht als Platzhalter oder Äquivalent für „die Zukunft“ sehen. Stattdessen müssen sie fragen, ob gesellschaftliche und technologische Entwicklungen neue Ressourcen oder Kontexte für uns als Bürger*innen, Kinder, Arbeitnehmer*innen, Eltern oder Lernende in den kommenden Jahren darstellen werden.
Wenn Bildung soziale Ungerechtigkeiten entschärfen und zu einer fairen und demokratischen Zukunft beitragen soll, sind wir in der Verantwortung zu fragen: Inwieweit unterstützen oder behindern gesellschaftliche und technologische Entwicklungen diese Rolle? Ebenso bei jeder Vision von Zukunft, die uns angeboten wird oder auf die wir hinarbeiten: Wer zieht daraus einen Nutzen? Und wir müssen genau hinschauen, ob Bildungsinstitutionen benachteiligte Communities darin bestärken können, Entwicklungen so zu beeinflussen, dass sie dadurch nicht weiter benachteiligt werden.
Die Beziehung zwischen Bildung und Zukunft kann auch auf den Kopf gestellt werden: Bildung als Motor für die Entwicklung gesellschaftlicher Werte, Ideen, Überzeugungen und Fähigkeiten und nicht nur als Dienstleister der Gesellschaft, der den soziotechnischen Veränderungen blind folgt. David Baker argumentiert folgendermaßen:
„Die Schule, wie sie seit 150 Jahren praktiziert wird, ist sehr viel mehr als eine vorbereitende Übung für die Jugend, die einfach nur den technologischen und sozialen Anforderungen der Gesellschaft folgt. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat die Bildungsrevolution, im positiven wie im negativen Sinne, die meisten der vorherrschenden Ideen, Überzeugungen und menschlichen Fähigkeiten geschaffen, die eine Gesellschaft ausmachen. Diese Perspektive sollte man einnehmen, wenn man über formale Bildung und ihre möglichen Auswirkungen auf die Gesellschaft nachdenkt.“
Mit einer solchen Anerkennung von Handlungsmacht geht Verantwortung einher. Es ist die Anerkennung, dass an der Bildung einer zukünftige Gesellschaft auch Pädagog*innen beteiligt sind. Damit stellt sich folgende Frage: Wer zieht Nutzen aus den Formen von Zukunft, die wir uns im Bildungssektor vorstellen und an denen wir mitwirken?
Wenn wir über die Zukunft nachdenken, sollte unser Anliegen als Pädagog*innen demnach nicht nur sein, uns auf eine unvermeidbare Zukunft vorzubereiten und unsere Systeme „zukunftssicher“ zu machen. Stattdessen sollten wir die Beziehung zwischen Zukunft und Bildung als einen gegenseitigen Dialog begreifen, geprägt von Antizipation, Adaption und Kreation. Möglicherweise müssen wir uns auf kürzere Sicht an Veränderungen anpassen, aber auf lange Sicht kann der Begriff der Bildung ein Motor für den radikalen Umbau von gesellschaftlichen Werten, Praktiken und Ideen sein. Dazu sind Gewandtheit und Ehrgeiz, Reaktionsbereitschaft und Fantasie notwendig.
Wir können die Beziehung zwischen Bildung und gesellschaftlichen wie technologischen Veränderungen neu schreiben. Wir können das Recht der Schulen einfordern, Ressourcen für ihre Communities zu sein. So können sie ihre eigenen Vorstellungen von Zukunft aufbauen und umsetzen. Um dies zu erreichen, müssen wir uns daran erinnern, dass die Zukunft nicht in Stein gemeißelt ist. Technologie ist keine Zauberkraft, die uns auf einen unvermeidbaren Weg zwingt. Bildung hingegen ist eine Macht, mit der zu rechnen ist, wenn es darum geht, eine progressive Zukunft zu erschaffen.