Die Kombination von digitalen Hightech-Bildern und religiösen Ritualen war in Ihrer Arbeit nicht unbedingt zu erwarten. Wie ist es dazu gekommen?
Der Himmel – oder die spirituelle Welt – scheint mit der digitalen Welt gemeinsam zu haben, dass man beide nicht berühren kann. In dieser Arbeit kann man tatsächlich etwas Spirituelles in digitaler Form erkennen, denn die Bewegungen des Geistes werden in Echtzeit von den Bewegungen des Gottes abgeleitet. In dem Video, das in der Ausstellung 2 oder 3 Tiger zu sehen ist, erkläre ich den Dorfbewohner*innen, wie das Kunstwerk installiert wird. Ich zeige ihnen den Installationsplan. Ich nehme in dieser Arbeit meine reale Position als Künstler ein und erkläre dem Gott die Ausstellung. Ich erläutere ihm die Skizze der 3-D Animation, aber er ist nicht zufrieden damit. Er meint, aufgrund des Fehlens von Farben und Oberflächen repräsentiere 3-D die Realität nicht angemessen. Dennoch sieht man, wie die Dorfbewohner*innen den Gott auf seinem Sitz herumtragen und ihm erklären, dass es nur eine Repräsentation sei, die eine Vorstellung der digitalen Welt ermöglichen solle; und, weitaus wichtiger, dass es kein Versuch sei, das Bild des zerstörten Tempels zu imitieren, sondern vielmehr den Austausch zwischen uns darstellen möchte. Der Gott erlaubte mir daraufhin, an dem Projekt weiterzuarbeiten.
Wie sind Sie anfangs ohne die Erlaubnis des Gottes an die Dorfbewohner*innen herangetreten, um sie zum Mitmachen zu motivieren?
Das war kein Problem, ich arbeite mit diesem Gott bereits seit vielen Jahren zusammen. Mein erstes Projekt fand im Jahr 2012 statt. Der originale Tempel in Wu-Yi wurde während der Kulturrevolution zerstört und musste gezwungenermaßen auf der Taiwanstrasse neu errichtet werden. Allerdings wurde er dort wieder zerstört, diesmal von Chiang Kai-shek. Nachdem die Insel so nahe an China lag, war es für die Armee relevant, China zu bekriegen. Sie rissen den Tempel nieder und ersetzten ihn mit einem Bunker. Heute steht in der Nähe der Insel ein dritter, weitaus größerer Tempel als der vorherige. Für die Dorfbewohner*innen ist das Zusammenleben mit dem Gott Teil des Alltags. Er hat enorme Kontrolle über die Menschen; die Situation auf der Insel ist dadurch äußert seltsam. Möchte die Regierung ein Gebäude, eine Brücke oder sonst etwas auf der Insel bauen, muss sie zuerst den Gott fragen. Sie kann mit keinerlei Unterstützung der lokalen Bevölkerung rechnen, wenn sie ihn nicht fragt. Obwohl der Großteil der jüngeren Generation nicht religiös ist, bestimmt die Religion auf der Insel heute selbst die Regierungsgeschäfte.
Wie sieht Ihr Verhältnis zu dieser Religion und zur lokalen Bevölkerung aus?
Ich werde oft gefragt, ob sich der göttliche Sitz während der rituellen Gespräche tatsächlich bewegt. Ich habe es selbst oft gesehen, denn ich habe häufig mit dem Gott gesprochen. Direkt während der Zeremonie konnte ich keine Bewegung oder Aktion ausmachen. Niemand scheint den göttliche Sitz manipulieren zu wollen. Was ich aber auch viel wichtiger finde, ist, dass es unabhängig vom Echtheitsfragen viel eher darum geht, dass die Menschen auf der Insel an den Gott glauben. Selbst wenn nichts von alldem wahr ist, beeinflusst dies das Leben aller Dorfbewohner*innen, das ist die Realität.
Was hat Sie veranlasst, Ihre künstlerischen Projekte diesem Thema zu widmen?
Das kam Schritt für Schritt: Zuerst wollte ich einfach etwas über die Geschichte des Tempels erfahren. Aber je länger ich an dem Projekt arbeitete, desto stärker wurde der Bezug. Dieses Mal zeigte ich mich dann auch dem Gott, der Gott zeigte sich mir, und wir machten den Dialog zwischen uns sichtbar. Obwohl wir über fünf Jahre hinweg viele solcher Dialoge führten, wollte ich dieses Mal auch das Publikum daran teilhaben lassen, um den Prozess verständlich zu machen. Mein ganzes Werk hat mit Taiwan zu tun. Aber selbst Menschen aus Taiwan sind mit dieser Kultur nicht vertraut. Es ist etwas sehr Spezielles. Seitdem ich mich mit dieser Insel und der Gemeinschaft dort beschäftige, habe ich viel durch den Austausch mit den Bewohner*innen gelernt. Aus diesen Erfahrungen ist die Arbeit in der Ausstellung entstanden, damit andere Menschen meine Erfahrungen nachvollziehen können.
Das klingt, als wären Sie dafür eher zum Austausch mit der lokalen Bevölkerung motiviert, als dass Sie die „Geschichte“ befragen wollten.
Beim Filmemachen ist für mich der Entstehungsprozess ein entscheidender Aspekt, denn etwas zu Produzieren ist eine echte Handlung. Wenn jemand an einen Ort geht, um dort einen Film zu drehen, muss die Crew mit den lokalen Leuten und Gemeinschaften zusammenarbeiten. Es geht nicht nur um eine Geschichte, sondern auch um neue Begegnungen vor Ort. Das ist für meine Arbeit wesentlich. An der Arbeit mit den Communities interessiert mich das Ereignishafte. Wenn ich jemanden treffe und frage, was er oder sie vorher gemacht hat, dann ist das schon ein persönlicher Ansatz. Ich arbeite nicht mit Geschichtsbüchern. Ich treffe auf unterschiedliche Menschen und Gruppen, und wenn ich etwas über ihre Erinnerung erfahre, dann werden genau diese zu Geschichte, beziehungsweise zur Gegenwart. Aber ich denke nicht wirklich über die Geschichte nach. Was mir wichtig ist, sind die Menschen und die Gemeinschaft. Das ist auch als Geschichtskritik zu verstehen, denn die Geschichte, die man in der Schule lernt, wird von Regierungen verfasst. Es ist eine Version. Als Taiwan unter japanischer Militärherrschaft stand, wurden wir zu Japanern und Japanerinnen erzogen und nach dem Zweiten Weltkrieg zu Chinesen und Chinesinnen. Es wurde jeweils angepasst. Deshalb arbeite ich persönlich mit verschiedenen Menschen und Gemeinschaften. Das ist eine Kritik an der „formalen“ Geschichtsschreibung. Es gibt keine „richtige“ Geschichte. Jede Erzählung wird aus einer spezifischen Perspektive heraus formuliert, und dazu kommen vielschichtige Erinnerungen, Identitäten und Vorstellungen.