„Es gibt deine Wahrheit, es gibt meine Wahrheit und es gibt die Wahrheit.“ Dieses Statement von Wole Soyinka – und zu einem späteren Zeitpunkt ergänzte er noch einen vierten, nicht ganz unwichtigen Punkt – trifft den Kern, wenn es um ein historisches Konzept wie die Négritude geht. in den 1930er Jahren in Paris von Léopold Senghor und Aimé Césaire als philosophischer Unterbau der afrikanischen Befreiungsbewegungen ins Leben gerufen, fiel sie in genau diese Falle: Indem sie dem Schwarzsein einen romantischen Anstrich verliehen, es auf „schwarz“ und „afrikanisch“ reduzierten, sollte die Négritude die eine Wahrheit etablieren anstatt verschiedene zuzulassen.
Gegen einen solchen Reduktionismus setzte Manthia Diawara das Denken des karibischen Philosophen Édouard Glissant, der die Wahrheit in einer „Poetik der Beziehung“ verortete. Differenz ist unabdingbar für die Menschen, die Frage ist allerdings: Wie finden wir Übereinstimmung und Solidaritäten zwischen den Unterschiedlichkeiten?
Hier führte Bernd Scherer das Thema der Wahrheitskommissionen in die Diskussion ein. Hauptantriebskraft, so Wole Soyinka, muss hier ein Grundsatz sein: Niemand darf aus der Gesellschaft ausgestoßen werden, nicht einmal Kindersoldaten, die zu Taten imstande waren, die jegliche Vorstellungskraft übersteigen. Auch sie können reintegriert werden – wenn der Wille da ist. Es reicht eben nicht, nach der Wahrheit zu suchen, man muss einen Schritt weiter gehen: Das Ziel ist Restitution, Wiederherstellung eines ethischen Gleichgewichts, nicht Entschädigung. Zumal sich Verlust ohnehin nicht ökonomisch messen lässt, wie Soyinka auf eine Frage aus dem Publikum feststellte. Und hier brachte er den vierten Punkt ein: Vielleicht gibt es – zumindest manchmal – keine Wahrheit.
Zum Schluss schlug Soyinka den Bogen zurück zum Ausgangspunkt: In Zeiten religiöser Indoktrination, wie sie seitens Boko Haram in seiner Heimat Nigeria betrieben wird, ist die Wiedererweckung einer gemeinsamen Identität wie der Négritude vielleicht das wirksamste Mittel.