Frau El-Tahri, in Ihrem Projekt über die ägyptischen „Pharaonen“ Nasser, Sadat und Mubarak beschäftigen Sie sich zum ersten Mal filmisch mit ihrem Geburtsland Ägypten. Warum erst jetzt?

Ich hatte politische Schwierigkeiten, nachdem ich Mitte der 1990er Jahre einen Artikel geschrieben hatte, in dem ich mich mit den wirtschaftlichen Verflechtungen der Mubarak-Familie, vor allem der Söhne des Präsidenten, beschäftigte. Aus diesem Grund war ich die meiste Zeit außer Landes, und konnte nur fallweise für kurze Zeit Besuche in Ägypten machen.

Sie kamen vermutlich 2011 nach Mubaraks Abgang zurück?

Ich fuhr an dem Tag nach Mubaraks Rücktritt. Und vor Ort wurde mir bald klar, dass sich hier etwas ereignete, was auch einen Zusammenhang zu meinen früheren Filmen ergab: In Behind the Rainbow hatte ich mich mit der Transformation des ANC in Südafrika von einer Befreiungsbewegung zu einer Regierungspartei beschäftigt, in Cuba’s African Odyssey mit der kubanischen Unterstützung für Revolutionen in Afrika.

In Ägypten sprach man 2011 auch von Revolution und Transformation.

Ja, allerdings fiel mir vor allem ins Auge, dass sich das Szenario schon einmal so ereignet hatte. Ich dachte an ein Foto aus den 1950er Jahren, auf dem die Parole „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ zu sehen war. Das waren exakt die Forderungen von 2011. Ich versuchte also zu verstehen, warum sich nichts verändert hatte. Trotz 60 Jahren Unabhängigkeit sind die Probleme genau die gleichen.

1952 kam Nasser durch einen Militärputsch an die Macht. Inwiefern kann man diese Geschichte neu erzählen?

Es gibt viele Dinge, die man uns nicht erzählt hat, und es ist unumgänglich, nachträglich Tabus zu brechen. Ich beschäftigte mich vor allem mit dem Machtkampf zwischen Muhammad Nagib, dem kurzzeitigen ersten Präsidenten Ägyptens, und Nasser. Im Kern drehte sich ihr Konflikt um die Frage, ob Ägypten eine demokratische Regierungsform erhalten oder unter Militärherrschaft stehen sollte. Die Freien Offiziere, die den Putsch gegen den König getragen hatten, waren in sich eine heterogene Bewegung, es gab nicht wenige Kommunisten unter ihnen. Nagib war sehr beliebt beim Volk, er wollte schnell zu einer parlamentarischen Demokratie übergehen, während Nasser darauf bestand, dass die Armee erst einmal die Revolution absicherte. Die Kavallerie wurde schließlich zum Sündenbock in dem Machtkampf zwischen den beiden gemacht, den Nasser klar für sich entschied.

Gibt es Filmaufnahmen von diesen Ereignissen?

Nein, das verlief alles sehr konspirativ, nachts, hinter verschlossenen Türen. Ich habe gerade einmal ein paar persönliche Fotografien von Beteiligten aufgetrieben, und dann gibt es natürlich eine Menge offiziöses und offizielles Material aus der Zeit. Das kombiniere ich mit den Augenzeugenberichten, um es in ein neues Licht zu stellen.

Haben Sie leicht Zugang zu offiziellen Archiven, oder finden Sie vorwiegend eigene Quellen?

(lacht) Es finden sich immer Wege zu Archiven. Vor allem bei Privatleuten. Die wissen meistens gar nicht, wie interessant das Material ist, das sie bei sich zu Hause haben. Wann immer ich jemanden interviewe, frage ich nach Home Videos oder Fotos, und die Ausbeute ist reich. In diesem Fall war der Kontakt der Vater eines meiner Freunde, der damals in der Kavallerie war.

Könnten Sie den größeren Umfang des Pharaonen-Projekts skizzieren?

Es hat vier Säulen: Erstens untersuche ich die Entwicklung der Zivilgesellschaft, deren Aufstieg und Fall seit den 1950er Jahren. Zweitens natürlich das Militär, obwohl das extrem opak ist, nur 2011 und 2012 konnte man halbwegs offen darüber sprechen. Die ägyptische Armee verfügt über 40 Prozent des staatlichen Wirtschaftssektors, aber über ihre Investitionen ist sehr wenig bekannt, sie profitieren von der Geheimnistuerei, die das Thema „nationale Sicherheit“ umgibt. Viele dieser Investitionen finden im zivilen Bereich statt und konkurrieren mit der freien Wirtschaft. Das generiert eine Unzahl von Gerüchten und lässt das Unbehagen über diese Undurchsichtigkeit weiter wachsen. Drittens die religiösen Gruppen, darunter an vorderster Stelle die Muslimbrüder, deren Regierung ja zuletzt in Ägypten de facto wieder durch einen Militärputsch beendet wurde.

Die „Pharaonen“ hatten eine sehr schwankende Politik gegenüber den Muslimbrüdern, zwischen Repression und versuchter Instrumentalisierung. Und viertens die Internationale Hilfe. Ägypten hat während des Kalten Kriegs seine Optionen immer abgewogen, sowohl von den USA als auch von der Sowjetunion gab es finanzielle und militärische Unterstützung, je nachdem, welche Position gerade angesagt war. Das sind die wesentlichen Faktoren der ägyptischen Politik in den letzten Jahrzehnten. Zu Beginn der 1950er Jahre gab es eine blühende Zivilgesellschaft, viele Parteien konkurrierten miteinander. Später wurde die Zivilgesellschaft systematisch ausgehöhlt.

Inwiefern hatte das mit den drei „Pharaonen“ persönlich zu tun?

Jeder der drei Präsidenten Nasser, Sadat und Mubarak hatte eine Vision, Ägypten in alter Glorie wiederherzustellen. Als einzigen Weg dorthin sahen sie die vollständige Monopolisierung der Macht. Alternative Sichtweisen wurden unterdrückt, oppositionelle Gruppen kaum toleriert. Die extreme Zentralisierung der Macht – das ist das wichtigste Indiz des Pharaonischen Regierungsstils.

Hing das mit einer persönlichen Schwäche der Machtinhaber zusammen, oder kommt das aus der Gesellschaft?

Die Gesellschaft fabriziert ihre Pharaonen. Es gibt etwas an der Macht, das Individuen verwandelt: Alle drei waren anfangs den Menschen nahe, sie hatten ein Verständnis von Basis. Dann verfingen sie sich in einer kleinen Entourage, sie endeten in einer Blase. Das geschah auch mit den Pharaonen: Sie verloren den Kontakt nach unten, zu den Bedürfnissen und Hoffnungen der kleinen Leute.

In welchem Stadium ist das Filmprojekt konkret? Sie haben ja im HKW Ausschnitte präsentiert.

Am Anfang meiner Arbeit standen diese vier Themen und zwölf Stunden Material. Dann musste gekürzt werden. Momentan habe ich einen abendfüllenden Film über Nasser, der beim Toronto International Filmfestival im September Premiere hatte. Und ich arbeite an Teil 2 und 3 über Sadat und Mubarak, diese Teile werden einstündige Fernsehformate sein.

Wo steht Ägypten jetzt, wenn Sie 1951/52 als Ausgangspunkt nehmen?

Das Militär und die Muslimbrüder führen ihren politischen Tanz fort, der Ägypten seit 1952 bestimmt. Es sieht manchmal so aus, als wäre eine säkulare Gesellschaft nur um den Preis eines starken Militärs möglich. Dieser Tanz setzt sich ironischerweise jetzt wieder fort, und die Zivilgesellschaft wird dazwischen aufgerieben. Es gibt diese Redensart: Wenn Elefanten kämpfen, leidet immer das Gras. Wir sind das Gras. Den Kopf zu heben, ist sehr gefährlich. Das heißt, dass die gesellschaftliche Mitte entweder keinen Kopf hat, oder sie ist im Gefängnis.