Es heißt oft, dass sich die Globalisierung vor allem dadurch definiere, dass Konzerne wichtiger und mächtiger als Nationalstaaten werden. Wenn das stimmt, muss man sich die Digitalisierung als Globalisierung auf Steroiden denken. Wie sonst ist zu verstehen, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 der Börsenwert von nur vier amerikanischen Technologiefirmen – Alphabet, Facebook, Amazon und Microsoft – um eine Summe gestiegen ist, die das BIP des ölreichen Norwegens übertrifft?

Würde man ihre enormen und beispiellosen Kursgewinne nicht zählen, könnte man sehen, dass die globale Wirtschaft sich gerade mal so von der Krise ab 2007 erholt hat: Ein Großteil des Wachstums seit dieser Zeit lässt sich ausschließlich auf die spekulativen Wetten zurückführen, die renditehungrige Investoren auf diese Firmen abgeschlossen haben. Technologischer Utopismus mag eine leere Ideologie sein, aber er lohnt sich ganz offenbar, zumindest kurzfristig. Risikokapital – eine Industrie, die aus der Wissenschaftsfinanzierung des Kalten Kriegs erwachsen ist und in den 1990er Jahren blühte – ist nicht mehr der einzige Garant für digitalen Reichtum.

Viele andere Investoren, von Staatsfonds in Singapur und Kuwait bis hin zu traditionell konservativen Akteur*innen wie Pensionsfonds, schauen verstärkt nach Chancen im Technologiesektor. Viele von ihnen aus dem alleinigen Grund, dass in keinem anderen Sektor und bei keinen anderen Investitionen solch hohe Renditen in Aussicht stehen. Ganz im Gegensatz zur Voraussage des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama ist das Ende der Geschichte nicht eingetreten, aber die Wirtschaft könnte durchaus erledigt sein – jedenfalls scheinen das viele Investor*innen zu glauben. Doch auch wenn die globale Wirtschaft herumkrebsen mag, so die Logik, wird der Technologiesektor immer andere Industrien überflügeln: Indem er eine todgeweihte Branche nach der anderen zerstört und durch Automatisierung und künstliche Intelligenz neue, bisher ungenutzte Leistungen einführt und Vermögenswerte – von Häusern bis zu Bohrmaschinen – zu weltweit gehandelten Waren macht, die zuvor kaum in den globalen Markt integriert waren.

Dass dieser höchst ökonomistische und investor*innenorientierte Rahmen den herrschenden Diskurs des digitalen Zeitalters untermauert, zeugt davon, wie peripher und unwesentlich Überlegungen zur Demokratie – und zur demokratischen Politik – für die Vordenker des digital ages sind. Es sind die schmerzlichen Konsequenzen neoliberaler Politik, die politischen Entscheidungsträger*innen heute zum Verhängnis werden. Konsequenzen einer Strategie, die in den frühen 1970er Jahren als unvermeidbare und absolut notwendige Maßnahme galt, um die daniederliegende globale Wirtschaft wiederzubeleben und die zur aktuellen Abhängigkeit der Politik von Technologieindustrie und Technologiediskurs geführt hat. Dadurch werden vor allem das Internet, aber auch seine zahlreichen Kognaten, von Big Data bis zur Sharing Economy, zum Ziel und zur Strategie, um dieses Ziel zu erreichen.

Wir sehen uns einem Trommelfeuer von optimistischer Phrasendrescherei über die Macht der digitalen Technologie ausgesetzt. Es gelte, die Wirtschaft zu transformieren, heißt es, und jeden von uns in eine*n erfolgreiche*n Unternehmer*in zu verwandeln. Doch wir leiten damit eine neue Form der privatisierten Politik und eine neue Form der privatisierten Wohlfahrt ein. Eine Gruppe mächtiger Mittelsleute aus dem Tech-Sektor – genau die Firmen, deren Börsenwerte gerade durch die Decke gehen – wird dadurch noch mehr Verantwortung in Bereichen erlangen, die traditionell außerhalb des Marktes lagen.

Die Versprechen variieren von Land zu Land, aber die angeblich unkontroversen und „pragmatischen“ Interventionen ähneln sich doch. Beispielsweise soll die demokratische Politik umgekrempelt werden, damit Bürger*innen ihre Politiker*innen so aussuchen können, wie sie Filme auf Netflix wählen: ausgerüstet mit Daten über Kandidat*innen und darüber, wie genau sie auf unsere Bedürfnisse und Vorlieben eingehen. Crowdpac, das prominente Start-up eines einst hochrangigen Beraters des ehemaligen britischen Premierministers David Cameron, macht es möglich. Zudem heißt es, dass sämtliche von den Technologiekonzernen gesammelten Daten zu neuen Modellen privatisierter digitaler Wohlfahrt führen könnten, die enorme Einsparungen für den öffentlichen Sektor bedeuten. Man denke nur an die Partnerschaft zwischen Alphabets Unternehmen DeepMind mit dem britischen National Health Service bei der Analyse der Gesundheitsdaten von Millionen britischer Patient*innen, um frühe Anzeichen von Nierenkrankheiten zu identifizieren. Oder man denke an Firmen wie Uber und Airbnb, die sich, jede auf ihre eigene Art, als ein kleiner Teil des parallelen Wohlfahrtsstaates darstellen. Uber verspricht, Daten und Effizienz dafür einzusetzen, Preise für Kund*innen dramatisch zu senken und dabei den Fahrer*innen flexiblere (und profitablere) Arten des Geldverdienens anzubieten. Airbnb verspricht, jede einzelne Wohnung und jedes Haus in einen permanenten Bankautomaten zu verwandeln, der denjenigen, die das Glück haben, überhaupt eine Wohnung zu haben, einen schönen regelmäßigen Einkommensbonus verschafft.

Untermauert wird all dies von ein paar unausgesprochenen Ansichten über die Verteilung von Macht im digitalen Zeitalter. Denn das Funktionieren dieses neuen Systems, in dem sowohl politische als auch wirtschaftliche Macht an große Technologiefirmen delegiert wird, hängt davon ab, dass es keine Umverteilung von Daten geben wird, ganz zu schweigen von einer drastischen legalen Änderung am Eigentumsregime dieser Daten. Bürger*innen haben nicht danach zu fragen, wie Firmen wie Alphabet und Facebook zu den Eigentümern dieser extrem wertvollen Ressource geworden sind, die selbst solch etablierte Publikationen wie der Economist und die Financial Times als das „neue Öl“ bezeichnen.

Während Bürger*innen nicht formal von der Partizipation an der neuen digitalen Governance ausgeschlossen sind – schließlich könnten sie manchen Firmen neue Daten bescheren –, ist klar, dass ihre Beiträge winzig und unbedeutend sein werden. Während also Alphabet und Uber mithilfe von Nutzer-Daten Künstliche-Intelligenz-Systeme verfeinern oder selbstfahrende Autos bauen, macht man Bürger*innen glauben, auch sie könnten das nächste Alphabet oder Uber werden, indem sie schlicht eine clevere App in ihrer Freizeit entwickeln. Trotz der positiven Rhetorik der vergangenen Jahrzehnte wurde Innovation aber nicht demokratisiert. Was dagegen demokratisiert wurde, ist triviale Innovation, die keinerlei strukturelle Wirkungen entwickelt, wenn es darum geht, wie die Gesellschaft sich organisiert.

Schlimmer noch ist, dass die künstliche Intelligenz, die dabei produziert wird, in den Händen von ein paar wenigen mächtigen Akteur*innen perverse Konsequenzen für die Gesellschaft insgesamt haben wird, insbesondere, da Automatisierung heute im Zentrum einer veränderten Wirtschaft steht. Man denke nur an ein Problem wie die Netzsicherheit. Es ist kein Geheimnis, dass viele Einzelpersonen und auch öffentliche Institutionen Cyber-Angriffen ausgesetzt sind, bei denen häufig Lösegelder gefordert werden, wie bei den viel beachteten WannaCry-Ransomware-Angriffen Anfang dieses Jahres.

Es gibt gute Gründe, warum solche Angriffe auf mögliche Sicherheitslücken in kommerzieller Software zurückgeführt werden, vor allem aber auf Lücken in ausgeklügelten Hacker-Tools, über die unsere Regierungen sich Zugang zu Geräten und Mailboxen verschaffen, die sie überwachen wollen: Es ist sehr wahrscheinlich, dass solche Tools irgendwann im Darknet landen. Und es scheint, dass dies bereits passiert, wie WikiLeaks kürzlich demonstrierte. Die Situation wird mit dem Übergang zum Internet der Dinge noch schlimmer, denn dies wird sicherstellen, dass Hacker nicht nur unsere Computer, sondern fast jedes angeschlossene Gerät bei uns zuhause angreifen könnten. Was also ist die Lösung? Es könnte die Anwendung einer ordentlichen Dosis künstlicher Intelligenz sein, um wirklich bösartige Angriffe von eher trivialen zu unterscheiden.

Technologiefirmen bewerben bereits ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet; sie betonen, dass solche Angriffe nur mit künstlicher Intelligenz abgewehrt werden können. Tatsächlich fordert Microsoft eine neue Digitale Genfer Konvention, in der Regierungen Technologiefirmen ermächtigen würden, als verantwortliche Akteur*innen das Problem solcher Angriffe zu lösen. Diese Aufgabe würden sie allerdings nicht gratis übernehmen, sondern ihre bereits jetzt lukrative Sicherheits- und Beratungspraxis erweitern. Somit befinden wir uns in einer äußerst merkwürdigen Situation: Technologiefirmen und Regierungen, die viele der zahlreichen Angriffsflächen geschaffen haben, die Netzangriffe überhaupt erst ermöglichen, möchten jetzt zahlreiche kommerzielle Geschäfte machen, damit der private Sektor sowohl öffentliche Institutionen als auch Bürger*innen vor bösartigen Hackerangriffen schützt. Das ist nichts anderes als die Privatisierung von Sicherheit und die Zerstörung der grundsätzlichen Annahme des demokratischen Staates – nämlich, dass Sicherheit ein öffentliches Gut ist, auf das alle durch ihre Steuern ein Recht haben, und nicht etwas, das man den Zufällen privater Umstände überlässt.

So lange sich die Digitalisierung derart entwickelt, wie die Technologieriesen es sich wünschen, und nicht unter den strukturellen Einschränkungen zusammenbricht, die von der allgemeinen Krise des Kapitalismus und der Globalisierung ausgehen, wird sie der demokratischen Agenda nicht dienen. Selbst dann nicht, wenn eine gelegentliche Ausnahme dieser Regel ab und zu das Kommentariat dazu bringt, eine weitere Lobrede auf das demokratische Potenzial von Sozialen Medien oder Big Data zu verfassen.

Ein viel wahrscheinlicheres Ergebnis der Digitalisierung, wenn sie nicht von ihrem aktuellen Kurs abkommt, ist eine Refeudalisierung – statt einer Demokratisierung – der Gesellschaft. Denn es gibt keinen besseren Begriff, um zu beschreiben, was passiert, wenn man eine Gruppe von habgierigen und räuberischen privaten Institutionen ermächtigt, während man Institutionen, die auf den Idealen von Gerechtigkeit, Solidarität und gemeinschaftlichem Risiko gründen, die Hände bindet oder sie gleich ganz zerstört.