Re-Narrating History

Arjun Appadurai und Tony Bennett diskutieren das erzählerische Potential von “Dingen,” ihre Subtexte und politischen Dimensionen.  | © Laura Fiorio

Von Museen und Dingen

Was passiert mit den Objekten, den Dingen, im Museum? In seinem 2005 erschienen Essay „Civic Laboratories“ untersucht der englische Kultur- und Sozialtheoretiker Tony Bennett die gleichzeitige Veränderlichkeit und Unveränderlichkeit von Objekten in Museumskontexten. Hierfür nimmt er Fragen der Identitätsbildung in den Blick und führt seine Leser*innen aus der europäischen Theoriebildung über Baldwin Spencers Inszenierungen von Aborigines in australischen Museen bis hin zu Franz Boas‘ Lebensgruppen im American Museum of Natural History in New York. Wie verändern sich Objekte mit ihrer Einbettung in unterschiedliche Regime von Objekthaftigkeit? Welche Formen des Innenlebens lösen diese beim betrachtenden Subjekt aus? Und welche erfordern sie?

Es sind zwei allgemeine Aspekte der Objekthaftigkeit, auf die ich eingehen möchte (…). Zum einen geht es mir um die arrangierten Beziehungen zwischen einzelnen Objekten, die in Museen zusammengetragen werden und aus denen abstraktere Entitäten wie Kunst, Ur- und Frühgeschichte, Gemeinschaft oder nationales Erbe entstehen, die sich wiederum auf die Realitäten und Beziehungen berufen, die durch die Organisation dieser Objekte bestehen. Im Mittelpunkt stehen also nicht unterschiedliche Kategorien von Objekten, sondern das Schaffen unterschiedlicher Arten der Objekthaftigkeit, die in Kulturinstitutionen als Produkt der von ihnen vorgenommenen Anordnung der Objekte verstanden werden: Objekte, die als natürlich eingestuft werden, sind durch ihre Einschreibung in die Naturgeschichte ebenso in unterschiedlichen Arten von kultureller Objekthaftigkeit gefangen wie Objekte, die als archäologisch oder in Kunstmuseen als künstlerisch eingeordnet werden.

Durch die institutionelle Anordnung werden Beziehungen zwischen materiellen Objekten dauerhaft und nachhaltig. Sie funktionieren als Regime der Objekthaftigkeit ähnlich wie die Quasi-Objekte, die Michel Serres in seiner Beschreibung über die Stabilisierung von Objekten in der Konstituierung sozialer Beziehungen erläutert. Wie die Spielsteine in einem Spiel, die für Serres den paradigmatischen Fall von Quasi-Objekten darstellen, sind solche Regime der Objekthaftigkeit stark an den Prozessen, die soziale Kollektive unterschiedlicher Art (sei sie schichten-, regions- oder geschlechtsspezifisch, rassifiziert oder sexualisiert) organisieren, beteiligt – und zwar durch die Positionen, die diese Kollektive über die Quasi-Objekte zueinander einnehmen, welche die Bewegungen und Gegenbewegungen der Identitätsbildung vermitteln.

Für Niklas Luhmann ist dies auch bei Kunstwerken der Fall, die er deshalb als Quasi-Objekte interpretiert, weil sie ihre „Objektheit“ auch „in wechselnden Lagen“ behalten und gleichzeitig „genügend Varianz aufnehmen“, „um Wechselfälle sozialer Konstellationen begleiten zu können“ – gerade angesichts der Tatsache, dass ihre Bedeutung als Kunst nicht selbstverständlich gegeben ist, sondern sich aus ihrer sozialen Regulierung heraus ergibt. (Vgl. Luhmann, Niklas (1997): Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. S. 81f.)

Des Weiteren deuten die Beobachtungen von Karin Knorr-Cetina über die offene Struktur „epistemischer Objekte“, ihre Folgen für die Organisation des epistemischen Begehrens und die dadurch möglichen unterschiedlichen Formen der Aktivität und Beziehungen zum Selbst darauf hin, dass auch die Art und Weise berücksichtigt werden muss, wie die von den Museen produzierten Regime der Objekthaftigkeit im Hinblick auf die dadurch möglichen charakteristischen Formen der grundsätzlichen und individuellen Arbeit differenziert werden. Welche Art von komplexen inneren Organisationen erwerben Objekte durch ihre Einbettung in verschiedene Systeme der Objekthaftigkeit? Welche Art von Innenleben seitens des Subjekts ermöglichen, beziehungsweise erfordern sie? Welche Art der Selbstökonomisierung ermöglichen verschiedene Arten von kultureller Objekthaftigkeit? Oder welche Art von Abschluss bewirken sie? Und welche Rolle spielen sie in dieser Hinsicht in identitätsbildenden Prozessen? (…)

Aus: Tony Bennett (2005): Civic Laboratories, Cultural Studies, 19(5), S. 521-547, hier S. 529f., Taylor & Francis Ltd, www.tandfonline.com. Veröffentlicht mit Genehmigung der Herausgeber*innen.